Was wissen wir in Deutschland und Europa von den vielen Tanz Kompanien in den Vereinigten Staaten? Herzlich wenig…Das soll sich aber jetzt ändern. Dance for You Magazine bietet Ihnen eine neue lesenswerte Artikelreihe über Amerikanische Theater und Tanzkompanien, die gerade jetzt in der Corona Zeit tolle online Programme anbieten. Verfasst werden die Artikel von Oliver Peter Graber, international als Komponist und Interpret eigener Werke mit den Schwerpunkten Ballett, Solokonzert und experimentelle Musik tätig. Einige seiner Ballettkompositionen kamen auch an der Wiener Staatsoper zur Aufführung. Er lehrte im universitären Bereich und war bis 2020 Ballettdramaturg des Wiener Staatsballetts.
Nach dem Tulsa Ballet in Oklahoma reisen wir heute zum BalletMet – im Herzen von Ohio.
Inmitten des Bundesstaates Ohio gelegen wurde Columbus 1812 gegründet und ist mit heute rund 860.000 Einwohnern nicht nur die Hauptstadt des Bundesstaates, sondern auch dessen größte. Die Stadt beherbergt u.a. die Ohio State University (OSU), eine der renommiertesten der USA, die auch ein Dance Department unterhält. Aus tanzwissenschaftlicher Sicht besonders bedeutend ist die Bibliothek der Universität, welche mit der „Dance Notation Bureau Collection“ eine der umfangreichsten Sammlungen an tanzschriftlichen Dokumenten (in Laban-Notation) besitzt. So hat auch die „Dance Notation Bureau Extension“ ihren Sitz am Institut, das u.a. schwerpunktmäßig Forschung im digitalen Bereich der Tanznotation leistet.
Zu den beliebtesten Wohnvierteln der Stadt zählt das ab 1820 errichtete „German Village“, welches wie der Name vermuten lässt von deutschen Einwanderern erbaut wurde – verschiedenen Quellen zu Folge stellten diese teilweise ein Drittel der Bevölkerung der Stadt.
Diese Wurzeln finden bis heute auch ihren Niederschlag im Bestand des 1878 gegründeten „Columbus Museum of Art“. Zusammen mit Amerikanischen Meisterwerken umfasst dieser insbesondere Glanzstücke der Europäischen Malerei des 19. Jahrhunderts sowie des (frühen) Kubismus, Impressionismus und (Deutschen) Expressionismus.

Das BalletMet
Genau 100 Jahre nach dieser Institution erschien 1978 mit dem BalletMet die erste professionelle Ballettkompanie am tänzerischen Stadtplan von Columbus. Die erste Produktion des – wie könnte es in den USA anders sein – „Nutcracker“ ging dabei allerdings bereits neun Jahre zuvor am 27. Dezember 1969 über die Bühne, wobei die Kompanie noch unter dem Namen „The Columbus Civic Ballet“ firmierte. Die Nussknacker-Kostüme dieser Vorläuferkompanie bzw. der Anfangsjahre stammten dabei ursprünglich vom Ballet Russe de Monte Carlo. 1974 erfolgte die Umbenennung in Ballet Metropolitan, dessen erste künstlerische Leiterin die in Odessa geborene Tatjana Akinfieva-Smith (1919 bis 2011) war. Dank finanzieller Unterstützung durch die ortsansässige „Battelle Memorial Institute Foundation“ in Höhe von 200.000.- Dollar gelang im Juli 1978 die Professionalisierung, wobei das Ensemble zwölf Tänzerinnen und Tänzer umfasste. Wayne Soulant wurde der erste künstlerische Leiter der nunmehr als BalletMet bezeichneten Truppe, John McFall (1986 bis 1993), David Nixon (1994 bis 2001) und Gerard Charles (2001 bis 2012) folgten ihm in dieser Position.

Edwaard Liang
Seit 2013 leitet Edwaard Liang die Geschicke der Kompanie, die nunmehr 26 Tänzerinnen und Tänzer umfasst. Dazu kommen weitere sechs Ensemblemitglieder in der von Liang 2014 ins Leben gerufenen Jugendkompanie „BalletMet 2“.
Liang wurde in Taipei (Taiwan) geboren und wuchs in Marin County (Kalifornien) auf, wo er beim Marin Ballet im Alter von fünf Jahren seine Tanzausbildung begann. 1989 trat er in die School of American Ballet ein und schloss sich im Frühjahr 1993 dem New York City Ballet an. Im selben Jahr errang er Medaillen beim „Prix de Lausanne“ und „Mae L. Wien Award“. 1998 avancierte er zum Solotänzer, 2001 wechselte er in einer Hauptrolle zu dem mit einem Tony Award prämierten Broadway Ensemble von Fosse. Im Jahr 2002 lud Jirí Kylián ihn ein, Mitglied des Nederlands Dans Theater 1 zu werden, ein Schritt, durch den er seine Leidenschaft und Liebe für die Choreographie entdeckte: Das beim damaligen Workshop des Nederlands Dans Theater 1 entstandene Flight of Angels gelangte seitdem nicht nur durch verschiedene Kompanien weltweit zur Aufführung, sondern markiert zugleich den Beginn Liangs choreographischer Aktivitäten. Nach seiner Rückkehr aus Holland war er von 2004 bis 2007 wiederum beim New York City Ballet tänzerisch tätig. 2004 wurde er vom New York Choreographic Institute zur Teilnahme eingeladen; seitdem er sich als Choreograph etabliert hat, bringen zahlreiche namhafte Kompanien seine Werke zur Aufführung, worunter sich in letzter Zeit vor allem das Mariinski Ballett, Bolschoi Ballett, Hamburg Ballett John Neumeier, Dortmund Ballett, Wiener Staatsballett, Shanghai Ballet, National Theater Beijing, Singapore Dance Theatre, New York City Ballet, San Francisco Ballet, Houston Ballet, Pacific Northwest Ballet, Kansas City Ballet, Tulsa Ballet, Washington Ballet sowie Hubbard Street Dance Chicago finden.
In Columbus – wo das BalletMet im Zuge seiner Geschichte auf 189 Weltpremieren (Stand: 2019/2020) verweisen darf – präsentiert Liang ein umfangreiches Repertoire von klassisch-romantischen Abendfüllern bis zu zeitgenössischen Werken mit dem deutlichen Schwerpunkt Neoklassik, wobei jährlich zwischen 60 bis 70 Vorstellungen am Spielplan stehen und dabei rund 70.000 Besucherinnen und Besucher erreicht werden.
Mit dem Ohio Theater, das 2779 Plätze fasst, steht dem BalletMet dazu eines der spektakulärsten Häuser in den USA zu Verfügung. Es gilt als Meisterwerk des Theater- und Kinoarchitekten Thomas Lamb (1871 bis 1942) und diente ursprünglich auch dem „Lichtspiel“, ehe dieses 1969 seine Pforten schloss. Erst im Zuge der darauf folgenden Sanierung verwandelte es sich in das heutige Performing Arts Center.
Des Weiteren zählen das Davidson Theater, sowie die am Gelände des Ensembles befindliche, 225 Sitze fassende Studiobühne zu den Aufführungsstätten des BalletMet, das auch zahlreiche Tourneen unternimmt und dabei bislang in 28 Bundesstaaten der USA sowie in Kanada, Russland, Polen Spanien und Ägypten gastierte.

Die Ballet Academy
wurde 1974 von Daryl Kramer, die bis heute an der Institution lehrt, begründet. Sie umfasst mehrere Standorte bzw. Kooperationen und zählt mit rund 1600 Studierenden zu den größten der an ein professionelles Ensemble angeschlossenen Ausbildungsstätten der USA.
Virtual Performances
Im Zuge der Pandemie wich auch das BalletMet in den digitalen Raum aus, wobei die einzelnen streams jeweils für 72 Stunden auf der Webseite des Ensembles verfügbar sind. Zur letzten großen Uraufführung „vor der Pandemie“ wurde „Alice“ in der Choreographie von Edwaard Liang.