Die Corona-Pandemie hat einiges durcheinandergewirbelt. Wochenlang haben die Studentinnen und Studenten weltweit an Onlinetrainings teilgenommen und sich auf ihre ganz eigene Art auf ihre Abschlussprüfungen vorbereitet. Viola Gräfenstein sprach mit Prof. Jason Beechey, Rektor der Palucca Hochschule für Tanz Dresden über den Umgang mit der Pandemie, den jetzigen Stand der Dinge sowie über die Zukunftspläne der Hochschule.
Prof. Beechey, das neue Studienjahr hat begonnen. Welche Änderungen gibt es derzeit für die Studierenden Ihrer Hochschule?
Unsere Studierenden müssen einen Mund- und Nasenschutz auf dem Campus tragen und sind aufgefordert einen Mindestabstand von 1,5 Metern in den Gängen, Garderoben und in der Mensa einzuhalten. Der Tanzunterricht und die Aktivitäten der Oberschule können wieder unter Normalbedingungen und in voller Klassengröße stattfinden. In unserem Bachelor Studiengang Tanz wie auch in den Master Studiengängen werden jedoch die Lehrveranstaltungen im Klassischen Tanz und auch im Zeitgenössischen Tanz sowie im Fach Improvisation in kleineren Gruppen geplant, denn hier muss zu jeder Zeit ein Mindestabstand von 1,5 Metern gegeben sein.
Alle Hochschulen haben unter diesen besonderen Umständen mit anderen Herausforderungen zu kämpfen. Was war bei Ihnen schwierig?
Ein Problem ist an manchen Hochschulen die hohe Anzahl von Studierenden und der Platzmangel. Das ist bei uns zum Glück nicht der Fall, weil wir im Vergleich erheblich weniger Studierende als große Hochschulen, wie z. B. die Technische Universität Dresden, haben. So können wir die Nachwuchstänzerinnen und -tänzer gut auf unsere Säle verteilen.
Wie haben Ihre Studierenden diese ungewöhnliche Situation erlebt?
Für viele war es ein Schock, als plötzlich alle die Schule verlassen mussten. Die jungen Tänzerinnen und Tänzer mussten von jetzt auf gleich mit dem aufhören, was sie am liebsten tun und das mitten in den Prüfungsvorbereitungen. Es war als ob das Herz verletzt wurde. Alle haben das Tanzen vermisst. Doch dann lösten sich die Studierenden aus ihrer Starre und setzten zahlreiche kreative Projekte um.
Hat sich da eine Energie aufgestaut und entladen?
Das könnte man so sagen. Es war wie eine Explosion an Kreativität. Es entstand beispielsweise die Idee zu einem Wettbewerb in Form eines Films für alle Klassen und Studiengänge im Lockdown. Eine fünfte Klasse hat eine Improvisation auf einem leeren Bahnhof gemacht. Eine andere hat in einem Fluss getanzt. Die jungen Tänzerinnen und Tänzer haben Familienmitglieder und Tiere miteinbezogen. Was sie gemacht haben, war unglaublich.
In dem zweieinhalbstündigen Tanzfilm “DISTANZ: connected – isolation” sind 28 Tanzstücke, 13 Uraufführungen und neue “Corona-Adaptionen” von bestehenden Choreografien zu sehen. Wie haben Sie den Film unter den erschwerten Bedingungen in dieser Länge hinbekommen?
Er ist ein wahrer Beweis für die Leidenschaft, den Einsatz und den Geist, sich den Herausforderungen dieser schweren Zeiten zu stellen. Die Dreharbeiten wurden komplett in den Tanzsälen und auf dem Außengelände des Campus sowie in der Semperoper Dresden durchgeführt. Fiel der Abstand geringer aus, dann handelte es sich um Tänzerinnen und Tänzer, die in einem Haushalt leben. In die Proben waren alle zukünftigen Arbeitgeber der diesjährigen Tanz-Absolventenklasse eingebunden – sei es im Rahmen von Skype-Proben in Saarbrücken, Neuseeland, Moskau und Düsseldorf oder im Tanzsaal mit Aaron S. Watkin, Künstlerischer Leiter des Semperoper Balletts.
Wie haben die Tänzerinnen und Tänzer die Rückkehr empfunden?
Nach dem Lockdown durften zunächst die Studierenden des Bachelor Studiengangs Tanz zum Training und für ihre Abschlussprüfungen wieder in die Ausbildungsräume zurückkehren. Als sie nach wochenlangem Heimtraining manchmal auf engstem Raum euphorisch in die Säle zurückkehren durften, standen manche plötzlich völlig hilflos, verloren und weinend in der Mitte des großen Saales. Das war sehr emotional. Wir haben versucht, sie mit Gesprächen und Einzelcoachings durchgehend aufzufangen. Das war uns sehr wichtig.
Die Prüfungen im Bachelor Studiengang Tanz liefen wegen der Pandemie etwas anders ab. Welche Lösung fanden die Studierenden?
Die Studierenden der Abschlussklasse im Bachelor Studiengang Tanz haben ihre Prüfungen nicht unter normalen Umständen ablegen können. Statt ihre Choreografien vorzutanzen, produzierten sie Filme. Aus der Perspektive der wachsamen Augen eines Taxifahrers entstanden 15 kurzweilige Video-Geschichten. Ein tolles Abschlussprojekt. Eine einzigartige Filmreise.
Standen durch die besondere Situation Abschlüsse und Engagements auf der Kippe?
Für die Absolventinnen und Absolventen weltweit stand viel auf dem Spiel, denn im Frühjahr ist normalerweise Prüfungszeit. Es ging für Sie ums Weiterkommen, Abschlüsse und Engagements. Eine Bachelorabsolventin aus Australien, die nicht zurückkehren konnte, machte sogar ihren Abschluss per Livevideo aus der Ferne. Aber wir waren sehr stolz darauf, dass alle 15 Absolventinnen und Absolventen des Bachelor Studiengangs Tanz erfolgreich waren. Sie erhielten alle ein Stellenangebot im In- oder Ausland. Coronabedingt musste ein Großteil der Master Abschlussprüfungen bisher verschoben werden. Sie finden im September statt.
Pas de deux, Paartänze sowie Bühnenauftritte sind aufgrund der Abstandsregelungen derzeit nicht möglich. Wie garantiert Ihre Hochschule eine entsprechende qualitätsvolle Gesamtausbildung für die jungen Tänzerinnen und Tänzer?
Den Wegfall von Pas de deux oder Partnering Unterricht ersetzen wir durch zusätzliche Lehrveranstaltungen in Variation/Etüde. Als Alternative für Bühnenauftritte z. B. für die öffentliche Präsentation der Bachelor Arbeiten wie auch für unsere Soirée in der Semperoper Dresden haben wir Tanzfilme konzipiert und produziert.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung für Ihre Hochschule und die Tanzwelt?
Es gibt insgesamt eine neue Art von Kreativität durch unsere heutige Technologie in der Tanzwelt, die so vor 30 Jahren noch nicht möglich gewesen wäre. Zudem können wir mit der digitalen Kunstform ein ganz neues Publikum gewinnen. Ganz wichtig für alle Beteiligten war die internationale digitale Vernetzung. Dreimal die Woche haben wir mit der Pariser Oper, der Royal Ballet School, Toronto und New Zealand einen Zoomcall und fragen nach, wie der Stand ist, wie sie es machen. Außerdem tauschen wir uns regelmäßig mit allen großen Hochschulen der Bundesländer wie Köln und Mannheim aus. Auch für die Nachwuchsgewinnung nutzen wir digitale Mittel. Wir haben einen Trailer gedreht, den die Sportlehrer an die Kinder schicken konnten, denn wir konnten nicht in die Schulen kommen. Und auch wenn der berufsbegleitende Masterstudiengang Tanzpädagogik schon zu 80 Prozent digitales Onlinelernen ist, möchten wir das noch für die anderen Studiengänge erweitern.
Wie sehen Sie die Zukunft der Palucca Hochschule für Tanz Dresden? Gibt es einen Plan B?
Wir können leider derzeit nur von Woche zu Woche schauen, wie die Situation aussieht. Bis Anfang November gibt es eine neue Verordnung, auf deren Grundlage wir geplant haben. Bestimmte Projekte und Aufführungen haben wir auf das nächste Jahr verlegt. Wir müssen ganz vorsichtig Schritt für Schritt, Tag für Tag gehen, aber die Gesundheit und der Schutz der Einzelnen und des Einzelnen gehen selbstverständlich vor.
Das Interview führte Viola Gräfenstein (www.viola-graefenstein.de)