Aufbruch ins Neue mit Freunden
Es hatte ein großes Handlungsballett zum Abschied sein sollen. Kleine Formate sind jedoch das Gebot der Corona-Ära. So wurde aus dem Abendfüller eine abendüllende Gala. „From Berlin With Love I“, der dritte Abend dieser Einstiegsofferte in die neue Saison beim Staatsballett Berlin, war allein ihm gewidmet, dem scheidenden Ersten Solisten Mikhail Kaniskin. Und er bedankte sich für die Ehre mit einem tänzerischen Aufgebot von Stars, die seinen Weg begleitet haben.
Mikhail Kaniskins Weg wurzelt in seiner Heimatstadt Moskau, wo er die Ausbildung an der Schule des Bolschoi begann und an der John Cranko Schule fortführte. Im Stuttgarter Ballett startete seine Karriere, die bis zum Ersten Solisten führte, ehe er in gleicher Position 2007 ans Staatsballett Berlin unter Vladimir Malakhov wechselte. Was in Stuttgart seinen Anfang nahm, setzte sich in Berlin fort: Kaniskin tanzte sich durch nahezu das ganze klassische Repertoire, gehörte zu den Prinzen vom Dienst ebenso wie zu jenen, die sich der Neoklassik und zeitgenössischen Handschriften öffneten. Gastspiele führten ihn auf mehrere Kontinente, als Partner führender Ballerinen, hauptsächlich aber als Partner seiner Frau, Elisa Carrillo Cabrera. Sie schlug für ihn eine auch zukünftig stabile Brücke von Europa nach Mexiko.
Mittlerweile ist Kaniskin als Manager und Impresario tätig, fördert Austauschprogramme im Tanz zwischen Deutschland und Mexiko, ist künstlerischer Leiter der Sir Anton Dolin Foundation, Europäischer Berater des Youth America Grand Prix – und gründete mit Berllet Art Productions 2020 seine eigene Firma. Von ihm wird man im Tanzbereich also auch weiterhin hören.
Zunächst aber konnte man ihn bei der ausverkauften Gala an der Deutschen Oper Berlin inmitten illustrer Gäste nochmals tanzen sehen. Auch für das Opening zog er zumindest die Fäden. Was als „Pas de Quatre“ 1845 in London für Furore sorgte, ein tänzerischer Wettstreit von vier der damals meistgefeierten Ballerinen, das hatte Anton Dolin 1941 nach dem Original rekonstruiert. Selten sind heute noch Werke des einstigen Solisten der Ballets russes zu erleben. Mit dem gebotenen Sicherheitsabstand im Auftrittstableau konnten in seiner Version Elisa Carrillo Cabrera, Yolanda Correa, Ksenia Ovsyanick und Iana Salenko, Berlins Erste Solistinnen, voll stilistischer Delikatesse jene Höflichkeiten austauschen, die ihre Figuren im harten Konkurrenzkampf hinter der Szene garantiert nicht pflegten.
Dann reihten sie sich, die Abschiedspräsente der hochkarätigen Gäste. Marcelo Gomes hatte für sich und die mit auf der Szene agierende Violinistin Elisabeth Heise-Glass mit „Paganini“ ein ungemein witziges Duett von Tänzer und Musikerin choreografiert; Hyo-Jung Kang und Jason Reilly aus Stuttgart bewährten sich in John Crankos „Hommage à Bolshoi“ mit den typisch brachialen Hebungen und Würfen des sportiven Moskauer Stils. Einen Pas de deux aus dem berüchtigten italienischen Ballett-Spektakel „Excelsior“ von 1881 zeigten in Ugo Dell‘Aras Nach-Choreografie die Scala-Stars Nicoletta Manni und, ein blonder Strahlemann mit leichtem Sprung von imposanter Höhe, Timofej Adrijashenko.
Suchte Alexander Abdukarimov, Tänzer im Staatsballett und inzwischen erfolgreicher junger Choreograf, in seinem Solo den Dialog mit einer schwingenden Lampe, so hatten Lucia Lacarra und Matthew Golding als Gaststars vom Ballett Dortmund in „Finding Light“ das Licht offensichtlich schon gefunden. Dann ein zweiter Beitrag von Anton Dolin, diesmal ein Original: seine „Variations for Four“, gewissermaßen das männliche Pendant zum „Pas de Quatre“. Vier schwarz Umhüllte reißen sich den Umhang fort und begeben sich auf einen langen Parcours der klassischen Bravour.
Wie sich Cameron Hunter und Konstantin Lorenz aus dem Corps de ballet neben Daniil Simkin und Dinu Tamazlacaru zu behaupten wussten, nötigt Respekt ab und lässt auf weitere Förderung hoffen. Polina Semionovas „Sterbender Schwan“ mit wunderbarer Armkultur griff dann nochmals auf das Erbe zurück und leitete zum Höhepunkt der Gala über. Elisa Carrillo Cabrera und Mikhail Kaniskin, das auch private Paar, das so viele gemeinsame Vorstellungen bestritten hatte, tanzte ein letztes Mal zusammen. Ausgesucht hatten sie sich dafür den Schluss-Pas de deux aus Crankos vielgeliebtem „Onegin, ebenso spektakulär wie das gesamte Ballett selbst. Knifflige Hebetricks kulminieren darin mit der tiefgründigen Darstellung eines verpfuschten Lebens der Titelgestalt und aufopfernder Liebesverleugnung bei Tatjana. Auf ein ganz und gar unverpfuschtes Berufsleben kann nun Mikhail Kaniskin zurückblicken, ein reiches Vierteljahrhundert voller schöner Momente, die ihn, über den verdienten Blumensegen beim Adieu, auch bei seinen nächsten Aufgaben beglücken und geleiten werden.
Volkmar Draeger