Zusammen trainieren
Spezial

Arts for Health – Dance for Health

Tanz im Dienste von Gesundheit und Wohlbefinden

 

Warum tanzt der Mensch? Eine der möglichen Antworten besteht in dem 2016 von Tarr et al. im Rahmen einer Studie [1] beschriebenen Phänomen, dass synchron in der Gruppe ausgeführte tänzerische Bewegung zu einer Modulation der Schmerzschwelle führt. Doch nicht nur die Schmerzwahrnehmung lässt sich durch Tanz beeinflussen, „Dance for Parkinson“ etwa – wobei dem Tango eine besondere Rolle zukommt – ist eine globale Bewegung, die auch von professionellen Ballettensembles und Theatern mehr und mehr aufgegriffen wird. Am Grazer Opernhaus hat sich jüngst – um nur ein tagesaktuelles Beispiel aus Österreich zu nennen – mit Dance Vitality ein Projekt etabliert, das laut Initiator*innen auf einem „speziell entwickelten Tanzprogramm für Menschen mit neurologischen Herausforderungen wie Parkinson, Multiple Sklerose, Rheuma, Demenz oder Schädel-Hirn-Trauma (SHT)“ namens Libra Neuro basiert.

Wesentlich ist es dabei zu unterstreichen, dass grundsätzlich nicht nur bereits erkrankte Personen (wobei eine Vielfalt an Krankheitsbildern adressierbar ist) wie eingangs beschrieben von Tanztherapie profitieren können, sondern Tanz vor allem der Prävention und Salutogenese – also dem Erhalt und der Förderung der Gesundheit bzw. dem Vorbeugen der Entstehung von Krankheiten – dienen kann.

Diesem Ansatz folgt das Konzept Arts for Health bzw. Dance for Health, das in den letzten Jahren auch zu einer zentralen Agenda der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde. Arts for Health (es existieren unterschiedliche Schreibarten wie Arts for Health, Arts and Health usw.) bezeichnet dabei das unmittelbare Zusammenwirken von Künstler*innen mit Betroffenen, wobei Arts for Health- Interventionen dezidiert keinen Anspruch erheben, therapeutischen Charakter zu haben. Vielmehr wird dazu eingeladen, sich an Dance for Health-Projekten zu beteiligen, um Gesundheit und Wohlbefinden zu steigern und bis ins hohe Lebensalter zu erhalten: „Handeln und tanzen, lange bevor es zu spät und Therapie erforderlich ist“, lautet dabei die Devise.

Professionelle Tänzer*innen, die Arts for Health-Initiativen anbieten, werden dadurch also nicht zu Therapeut*innen oder Mediziner*innen. Ebenso wenig dürfen Dance for Health-Angebote mit Tanzpädagogik, Tanztherapie oder Tanzmedizin – die im Grunde der Arbeitsmedizin zugehörig ist und sich mit gesundheitlichen Problemen befasst, wie sie im Rahmen der (beruflichen) Ausübung tänzerischer Praxis entstehen – verwechselt werden.

Gesund und fit bis ins hohe Alter – Fotos Freepick 

Vielmehr leisten Dance for Health-Initiativen einen essenziellen und freudvollen Beitrag zu Gesundheit, Wohlbefinden und Lebenslust, indem der partizipative kreative Prozess in den Mittelpunkt gerückt wird. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen dabei auch soziale Komponenten: Das Miteinander des tänzerischen Erlebens, das gemeinsame Gestalten mit Gleichgesinnten bzw. innerhalb vulnerabler Gruppen mit identen Problemen, die musikalisch-tänzerische Interaktion und Kommunikation sowie das Eingebettetsein in kreatives Erleben sind zentrale Faktoren der „Wirkung“ einschlägiger Initiativen.

Die Teilnehmer*innen dürfen und sollen sich dabei als Künstler*innen fühlen, wobei ggf. die Möglichkeit der persönlichen Begegnung im Rahmen einschlägiger Projekte mit namhaften Vertreter*innen der internationalen Tanzwelt ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Faktor bildet.

„Stammland“ der Arts for Health-Bewegung ist England, wo bereits ein umfassendes Angebot für die breite Öffentlichkeit existiert. Die an der Manchester Metropolitan University ansässige gleichnamige Organisation erhebt dabei den Anspruch, die älteste in England tätige akademische Institution zu sein, die zudem bei ihrer Gründung die Grundlagen von Arts for Health in einem Manifest festschrieb. Aus dem breiten Angebot sei zudem die Initiative Arts for Dementia, geleitet von Veronica Franklin Gould, genannt, die eine Kooperation mit dem English National Ballet unterhält.

Auch in den deutschsprachigen Ländern nimmt die Arts for Health-Bewegung dynamisch Fahrt auf. In der Schweiz besteht dabei ein Zentrum am Institut für Sportwissenschaft der Universität Bern, das ein Certificate of Advanced Studies in Dance Science: Health & Performance anbietet. In diesem Zusammenhang sei deutlich unterstrichen, dass der Sektor Dance for Health sehr attraktive neue berufliche Chancen und Perspektiven für professionelle Bühnentänzer*innen bietet – vor allem auch im Hinblick auf die Career transition.

Einem entsprechenden Ausbildungs-Ansatz folgt auch Österreich, wo an der JAM MUSIC LAB Private University Wien Ausbildungsangebote und Dance for Health-Kurse in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft vom Goldenen Kreuze und der Carl Bechstein Stiftung bestehen. Der ebenfalls in Wien ansässige Verein Arts for Health Austria entwickelt sich zudem auch zu einer internationalen Drehscheibe und begründete im November 2024 zusammen mit 13 Partnerorganisationen die neue Culture and Health Platform auf EU-Ebene.

AD/Anzeige

In Deutschland sei vor allem auf die Deutsche Gesellschaft für Musikgeragogik (dies ist spezialisierte Musikpädagogik für ältere Menschen) hingewiesen, die eine zentrale Lücke besetzt: In den kommenden Jahren und Jahrzehnten werden sich demografische Trends verstärken, im Zuge derer sich die „Alterspyramide“ bildlich gesprochen zu einem „Alterstrichter“ umformt. Mit dem rasanten Anwachsen immer älterer Bevölkerungsanteile ist die Notwendigkeit verbunden, diese mit speziellen Kunst- und Kulturangeboten zu versorgen. Arts for Health kann hier im Sinne der Prävention und Salutogenese entscheidende Akzente zur Stabilität des Gesundheitssystems und der Gesellschaft leisten, sodass auch die Gründung einer Gesellschaft für Tanzgeragogik dringlichst notwendig scheint; zudem Tanz auch im Alter eine Quelle der Gesundheit und quasi „Jungbrunnen“ ist – und nicht zuletzt ein ideales Mittel, um etwa auch Fettleibigkeit freudvoll einen Riegel vorzuschieben, womit Dance for Health vollständig zu einem „Gesundheits- und Wellnessmotor“ für die Gesamtheit der Gesellschaft mutiert.

Wenngleich hier nur ein minimaler Auszug an Initiativen, Organisationen und Trends präsentiert werden kann, steht auf Basis aktueller Studien und Empfehlungen der WHO fest: Tanzen Sie, um Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden zu stärken – und dies so regelmäßig und freudig wie möglich. Die Kraft des gemeinsamen Tanzens hilft dabei nicht nur über so manchen Schmerz seelischer oder körperlicher Art hinweg, sondern wirkt dabei vor allem präventiv und die Gesundheit erhaltend. Berufstänzer*innen sollten darüber hinaus die neuen Karrierechancen für sich abwägen bzw. erschließen und Fortbildung suchen, die es ermöglicht, mit den vulnerablen Gruppen am Sektor Dance for Health verantwortungsvoll und im Sinne von „best practice“-Beispielen zu arbeiten. International ausstrahlende Leuchtturmprojekte wie etwa das Queensland Ballet (Australien), das mit dem Van Norton Li Community Health Institute eine operative Einheit bildet, können dabei Ansporn sein.

Oliver Peter GRABER


[1] Tarr, B., Launay, J., & Dunbar, R. I. (2016). Silent disco: dancing in synchrony leads to elevated pain thresholds and social closeness. Evolution and human behavior : official journal of the Human Behavior and Evolution Society, 37(5), 343–349. https://doi.org/10.1016/j.evolhumbehav.2016.02.004