Ballett Graz in "Selon Désir" von Andonis Foniadakis © Andreas J. Etter
Kritiken

Wenn Bach zum Tanze lädt

In Graz feiert ein dreiteiliger Abend Premiere ⋅

 

von Paul M. Delavos

An der Oper Graz wird aktuell mit „Bach Variations“ dem musikalischen Genie Johann Sebastian Bachs tänzerisch gehuldigt. Pablo Girolami wählt dafür einen sehr interessanten Zugang, während sich Andonis Foniadakis von der puren Lebensfreude Bachs anstecken lässt. Anne Jung weiß  Bachs Cello-Sonaten in einer Bearbeitung von Peter Gregson allerdings wenig entgegenzuhalten.

Ballett Graz in „Selon Désir“ von Andonis Foniadakis © Andreas J. Etter

Am Ende geht man nach langem Applaus und mancher Standing Ovation des Grazer Publikums beschwingt aus dem Opernhaus. Die Bewegungslust der Tänzer*innen hat sich auf das eigene Lebensgefühl übertragen. Bereits zwanzig Jahre alt ist „Selon Désir“ von Andonis Foniadakis und zeigt dennoch keine Alterserscheinungen. Foniadakis hat die Eröffnungschöre aus der Matthäus- und Johannespassion, bearbeitet von Julien Tarride, für seine Choreografie gewählt und setzt die musikalischen Strukturen in Bewegung um. Die Tänzer*innen wirbeln in ihren bunten, androgynen – alle tragen Röcke – Kostümen von Anastasious Sofroniou über die Bühne: mal alleine, dann im Duo, Trio oder als Gruppe. Ihre Tanzsequenzen werden teilweise im Kanon weitergeführt oder es ändern sich die Bezugspersonen. Drehungen, bei denen die Arme frei mitschwingen, Bodenarbeit und Hebungen sind wichtige Elemente des ständigen Bewegungsflusses. Bisweilen wirkt der Bühnenraum zu klein, und man fragt sich, warum der komplette Abend nur auf der Vorderbühne – also über dem abgedeckten Orchestergraben – stattfindet.

Leonardo Germani, Gionata Sargentini, Fabio Agnello in „Strings attached“ von Anne Jung © Andreas J. Etter
Barbora Kubatova, Thibaut Lucas Nury, Gionata Sargentini, Yuka Eda, Savanna Haberland in „Kepler-69c“ Ch. Parblo Girolami © Andreas J. Etter

Einen spannenden Zugang zu „Toccata und Fuge“, elektronisch verfremdet von Guilherme Curado, hat der junge Choreograf Pablo Girolami gewählt: In „Kepler-69c“ stellt er sich die Frage, wie es wohl wäre, wenn Außerirdische das erste Mal mit dem Klangkosmos von Bach konfrontiert würden. Fünf Tänzer*innen, ebenfalls in androgynen hautfarbenen, trikotartigen Kostümen von Silke Fischer, sind anfangs ganz eng zusammen. In kleinen, sehr abgehackten Bewegungen versuchen sie, die Emotionen, die sie erfassen, darzustellen. Man merkt ihnen anfangs deutlich das Befremden, aber auch die Neugier an. Langsam beginnen sie das Neuland zu erkunden und lösen sich aus der Gruppe. Die knapp 15-minütige Choreografie, die sehr gut durch die Lichtregie von Johannes Schadl unterstützt wird, ließe sich definitiv ausbauen.

„Strings attached“ von Anne Jung als Auftraktstück ist der schwächste, doch mit dreißig Minuten längste Teil des  Abends. Choreografisch weiß Jung den Cello-Sonaten von Bach, in einer grandiosen Bearbeitung von Peter Gregson, nur wenig abzugewinnen. Scheinbar ohne Plan wählt sie musikalische Teile, die sie auch noch in der Abfolge umstellt. Choreografisch bedient sie sich eklektisch an Stilmitteln unter anderem von William Forsythe, Jiří Kylián und Marco Goecke sowie an Bewegungen, die an rhythmische Gymnastik erinnern, anstatt eine eigene Handschrift zu entwickeln. Auch wenn es im Programmheft heißt, dass sie sich von „künstlerischen Vorprägungen lösen“ musste, „damit sie sich frisch und neugierig auf ihre eigene choreografische Reise begeben konnte“. Das Stück kommt nicht in Fluss, ist teilweise mehr eine Nummernabfolge, die sich genau an die Musik hält. Auch hier wechseln sich kurze Soli und Duos mit unisono getanzten Gruppen ab, die sich aber rasch wieder auflösen.

In diesen drei sehr unterschiedlichen Stücken beweisen die Tänzer*innen ihre Wandlungsfähigkeit und zeigen, was in ihnen steckt, vor allem in den beiden letzten Stücken. Hier merkt man wieder mal, wie wichtig es ist, dass Choreograf*innen ihre künstlerischen Ideen szenisch dann auch wirklich vermitteln können.