Aus „Le fil rouge“, Ch. Ihsan Rustem, mit Stefan Kulhawec und Clara Dufay © Frank Hammerschmidt
Kritiken

Von dramatisch bis heiter

Das Cottbuser Ballett setzt Akzente „Im Hier und Jetzt“.

Er besitzt ein Händchen dafür, was seiner Kompanie gut tut. Diesmal hat Ballettdirektor Dirk Neumann zwei international ausgewiesene Choreografen ans Staatstheater Cottbus geladen. Ihre Bewegungssprache, obwohl ungewohnt, fließt den elf Tänzer*innen mühelos aus dem Körper. „Vom Neuen. Im Hier und Jetzt“ heißt der dreigeteilte Abend, und auch die Zuschauer fordert er zu eigenem Interpretieren auf. Kein Handlungsballett also, sondern ein Griff ins Leben mit seinen emotionalen Schattierungen, seinem Auf und Ab und den mannigfachen Zwischenzuständen. Und dem Spiel mit Dingen.

Gleich der erste Beitrag greift das auf. „Lux“ bedeutet Licht und stellt den Umgang mit warm leuchtenden Lämpchen ins Zentum. Nur einen hellen Spalt gibt die Szene frei, aus ihm dringen zum explosiven Celloklang des Italieners Giovanni Sollima die Gestalten, die im nervösen Wechsel und mit flatternden Händen die Bühne erobern. In acht Bildern zu Musik meist aus Sollimas Album „Where We Were Trees“ begegnen sich Menschen, ob als Paar oder Gruppe, und leben in teils rasantem Tempo Gefühle zwischen Sehnsucht, Einsamkeit, Attacke aus. Lämpchen lenken sie, dienen als Partner auf der Suche nach sich, rücken einen Wettbewerb dreier Männer in den Blick. Es ist eben diese Verknüpfung von akrobatischem, bodennahem Tanz und eingezogenem Licht, die den Reiz der reichlich halbstündigen Choreografie ausmacht. Ihr Schöpfer, der Österreicher Jörg Mannes, derzeit Ballettchef in Magdeburg, besticht durch transparente Raumformen und hält mit einer durchsichtigen Gaze noch einen besonderen Effekt bereit. Am Ende liegen alle Champions, ein Mann schnipst lässig das Licht aus. Die Zuschauer quittieren mit Juchzern.

Alle Fotos: © Frank Hammerschmidt

„Lux“, Ch. Jörg Mannes, mit Alessandro Giachetti und Rachele Rossi

Ähnlich euphorisch reagieren sie auf zwei Stücke des Briten Ihsan Rustem. „Yidam“ bezieht sich auf seine Erfahrung beim Meditieren und verstrickt neun Tänzer*innen zu dichtem Streichersound von Michael Gordon in ein komplexes, so virtuoses wie dramatisches Beziehungsgeflecht. Ein sichelartiges Hänger teilt den Hintergrund in einen grauen und einen orangefarbenen Teil. Davor verknoten sich Paare, wird aus Vertrauen Kampf, bleibt Partnersuche erfolglos. Ein herabfallendes schwarzes Tuch schluckt den Tanztaumel, der Donner des Anfangs grollt, Wind pfeift – nur ein Paar treidelt unverdrossen weiter, bis der Vorhang es ausbremst.

„Yidam“, Ch. Ihsan Rustem mit   Stefan Kulhawec, Alyosa Forlini und Christoph Schedler

 

Auch in „Le fil rouge“ erweist sich Ihsan Rustem als Meister seismischer Paarkontakte in engster Körpernähe. Doch hier lässt er seiner humorvollen Ader freien Lauf. Als musikalische Assistenten hat er sich sechs Sängerinnen erwählt, die unterschiedliche Stimmungslagen bedienen. Das spiegelt sich im Tanz. Herzklopfen haben sie zunächst alle, die elf unisex in dunkle Anzüge Kostümierten. Fordert Yma Sumacs Kehlbravour zu Hüftschwung heraus, nimmt Rustem in der Folge die Songstexte nicht so bierernst. Barbaras klagendes „Ne me quitte pas“ wird zum Flirt zweier Frauen; in Doris Days „Perhaps“ erwidert ein Mann das Werben seines Freundes nur vielleicht; Edith Piafs geschmettertes Bekenntnis „Non, je ne regrette rien“ bewirkt Liebesleuchten bei drei Frauen. Mit dem kubanischen Flair von La Lupe schließt ein tänzerischer Reigen, der amüsantes Liebesgeplänkel zum roten Faden hat.

„Lux“, Ch. Jörg Mannes
„Le fil rouge“, Ch. Ihsan Rustem, mit Alyosa Forlini

Und weil das Cottbuser Ballett wieder sensationell gut anzuschauen ist, erhält es endlich die längst fällige Anerkennung: Ab neuer Saison wird es, bisher nur sieben feste Tänzer*innen plus jeweils Gäste zählend, um vier fixe Positionen und zwei Elevenstellen aufgestockt. Für Dirk Neumann bedeutet das größere Herausforderungen – und für uns neue Erlebnisse!

Volkmar Draeger