Lahna Vanderbush. Foto Eric Olson/Saturn Lounge
Spezial

Reisen durch die USA. The Milwaukee Ballet – Die „Schwäne“ vom Lake Michigan

Vogelgleich erhebt sich die grazile Silhouette des Milwaukee Art Museum direkt am Ufer des Lake Michigan gegen den Himmel – eine in Architektur gegossene Choreographie. Die Sammlung des Museums besticht nicht nur durch eine umfangreiche Werkschau von Georgia O’Keeffe sowie Meisterwerke von Fragonard, Bouguereau, Caillebotte, Degas, Gérôme, Monet, Pissaro, Rodin und Touluse-Lautrec – mit der „Marcia and Granvil Specks Collection“ beherbergt sie darüber hinaus einen der umfangreichsten Bestände zum Deutschen Expressionismus in den USA und auch deutsche und österreichische Gemälde des 19. Jahrhunderts sind reich vertreten.

Die historischen Verbindungen zwischen Milwaukee und Deutschland sind eng und vielfältig. Vor allem nach 1848 siedelten sich viele deutsche Einwanderer an, sodass der deutschstämmige Bevölkerungsanteil gegen Ende des 19. Jahrhunderts fast 70% betrug.

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Eine besondere Beziehung stellt auch die Biographie von John Neumeier her, der in der auch als „German Athens“ bezeichneten Metropole, die zugleich die größte des Bundesstaates Wisconsin ist, das Licht der Welt erblickte, jedoch mangels entsprechender beruflicher Möglichkeiten bald nach anderen Ufern strebte – einer der Impulse, die die Gründerin des Milwaukee Ballet bewegten, die Situation am Lake Michigan zum Besseren für das Ballett zu wenden.

Nicole Teague and Alexandre Ferreira, Foto Mark Frohna
Milwauke Ballet Company, Foto Brian Lipchik

THE MILWAUKEE BALLET

Dank der unermüdlichen Roberta Rehberg-Boorse (1932 bis 2016) erblickte so drei Jahrzehnte nach der Geburt Neumeiers 1969 das Milwaukee Ballet das Licht der Welt, seine erste Vorstellung fand unter der Beteiligung von Lupe Serrano und Ted Kivitt als Gaststars vom American Ballet Theatre am 24. April 1970 in der School of Fine Arts der University of Wisconsin-Milwaukee statt. Jury Gotschalks wurde der erste künstlerische Direktor, Myron Howard Nadel – später u.a. Leiter des Dance Program der University of Texas in El Paso – übernahm die Rolle des Chefchoreographen. Indem in der Folge Lupe Serrano als regelmäßige Dozentin und Cynthia Gregory (mit Ted Kivitt in „Coppélia“) als Gaststar gewonnen werden konnten, erhielt das junge Ensemble weitere Unterstützung durch Kräfte des ABT.

Roberta Rehberg Boorse

Roberta Rehberg-Boorse begann ihre Tanzausbildung im Alter von vier Jahren in Milwaukee und setzte diese an der Stone-Camryn School of Ballet in Chicago fort. Bereits im Alter von 20 Jahren gründete sie ihre erste Ballettschule, die „Academy of Dance Arts“ in West Allis. Mit besonderer Vehemenz und unermüdlichem Eifer setzte sich v.a. auch für die Breitenwirkung des Balletts in der Gesellschaft ein. Diesem Ansatz blieb sie bis ans Lebensende treu und begründete so z.B. auch noch nach ihrem Rückzug vom Milwaukee Ballet die bis heute bestehende „Academy of Dance Arts“ in Brown Deer.

1974 erhielt das Ensemble mit Jean-Paul Comelin einen neuen künstlerischen Direktor, im selben Jahr konnte mit der Milwaukee Ballet School auch die offizielle Ausbildungsstätte des Ensembles eröffnet werden.

Drei Jahre später ging die erste „Nussknacker“-Fassung der Kompanie über die Bühne – die bis heute in ungebrochener Beliebtheit jährlich am Spielplan steht; zeitgleich nahm das Milwaukee Ballet auch seine Tourneetätigkeit auf.

Bereits in seiner Anfangszeit fand das Ensemble in der „Uihlein Hall“ des „Marcus Center for the Perfoming Arts“ seine wichtigste Bühne, die es bis zum heutigen Tag bespielt.

Ende der 70er Jahre fielen die Ballettsäle des Milwaukee Ballet einem Brand zum Opfer; das Gebäude konnte jedoch saniert und als „Jodi Peck Center“ für 30 weitere Jahre genützt werden, bis im Jahr 2019 anlässlich des 50jährigen Bestehens des Ensembles mit dem „Baumgartner Center for Dance“ ein komplett neu errichteter Studiokomplex mit eigener Studiobühne im so genannten „Historic Third Ward District“ der Stadt bezogen wurde.

1980 bis 1987 übernahm Ted Kivitt – der Gaststar der ersten Stunde – die künstlerische Leitung des Ensembles, eine Funktion, in der ihm Basil Thompson 1986 bis 1987 assistierte.

Sah sich das Milwaukee Ballet bereits während der ersten Jahre durch die Konkurrenz des United Performing Arts Fund gefordert – eine Situation, die durch eine Fusion erfolgreich geklärt werden konnte – so fusionierte die Kompanie während der 1980er Jahre erneut: Zusammen mit dem Pennsylvania Ballet entstand eine Kompanie, die als einzige in den USA 52wöchige und somit ganzjährige Verträge für die TänzerInnen anbot. Trotz dieses großen wirtschaftlichen und auch künstlerischen Erfolges bestand „The Pennsylvania Milwaukee Ballet“ nur bis zum Ende der Saison 1988/1989.

An der Wende zum neuen Jahrtausend kam es auch zu einem mehrfachen Wechsel an der Spitze: Dane LaFontsee (1990 bis 1995), erneut Basil Thompson (1995 bis 2000) und Simon Dow (2000 bis 2002) lösten sich dabei als künstlerische Leiter ab. Unter Dow wurde die Tradition des internationalen Ballettwettbewerbs „Genesis“ begründet.

Foto Nathaniel Davauer

MICHAEL PINK

Seit 2002 steht Michael Pink an der Spitze des Ensembles und prägt dieses v.a. durch sein international höchst beachtetes choreographisches Schaffen, das sich mit Werken wie „Dracula“, „The Hunchback of Notre Dame“, „Giselle“, „Swan Lake“, „The Sleeping Beauty“, „Cinderella“, „Romeo & Juliet“, „La Bohème“, „Don Quixote“, „Mirror Mirror“, „Dorian Gray“, „Peter Pan“ und „Beauty and the Beast“ vor allem auf (abendfüllende) Handlungsballette konzentriert.

Seine Ausbildung erhielt Pink an der Royal Ballet School in London. Im Anschluss war er Mitglied des English National Ballet (1975 bis 1985) und wirkte als Einstudierer für Rudolf Nurejew an der Pariser Opéra und dem Teatro alla Scala in Mailand. Er war Gründer und Direktor des Ballet Central in London und stellvertretender künstlerischer Leiter des Northern Ballet, ehe ihn sein Weg in die USA führte.

Mit bislang 58 Uraufführungen unter seiner Leitung – darunter fünf eigene abendfüllende Kreationen – setzt er das initiale Vorhaben der Ensemblegründerin, „zumindest eine Weltpremiere pro Spielzeit zu präsentieren“ ambitioniert fort.

Foto Mark Frohna

DAS ENSEMBLE

Er darf sich bei diesen künstlerischen Unternehmungen dabei gegenwärtig auf 24 TänzerInnen der „Professional Company“ stützen, dazu kommen weitere 20 vom „Milwaukee Ballet II“ sowie 20 vom „Pre-Professional Program“.

Zusammen bestreiten sie im Schnitt fünf Produktionen pro Jahr, die mit rund 30 Vorstellungen um die 50.000 ZuschauerInnen erreichen.

Die Ballettakademie ist als eine von nur 13 Schulen in den USA und als einzige im Mittelwesten von der National Association of Schools of Dance akkredidiert und damit berechtigt, Visa für ausländische Studierende auszustellen.

Sie weist zudem auch eine bemerkenswert hohe Anzahl von KorrepetitorInnen auf, womit eine Anmerkung aus pianistischer Sicht den Abschluss bilden soll: Mit Hal Leonard hat nicht nur einer der größten Musikverlage der Welt seinen Sitz in Milwaukee – auch John W. Schaum (1905 bis 1988) ist darüber hinaus als Sohn der Stadt mit seinem sechsbändigen Lehrwerk „Fingerkraft“ den (Ballett-)PianistInnen wohl weltweit ein Begriff.

Oliver Graber