© Bayerisches Staatsballett
Kritiken

Tanzen in Zeiten von Corona – ein Kommentar

Das Corona-Kuratel trifft ausnahmslos alle Einzelpersonen und Berufsgruppen unserer Gesellschaft hart. Manche werden dabei zu stillen Helden, weil sie die öffentlichen Grundfunktionen aufrecht erhalten, etwa im Gesundheitswesen, im Handel, bei Post, Banken, der Polizei. Schlimm erwischen die notwendigen Vorkehrungen den Kunstbetrieb und besonders die Theater. Sänger und Musiker können in „Heimarbeit“ noch einigermaßen ihr Instrument trainieren, ob Stimme, Violine oder Trompete, und damit einem Verlust der beruflichen Basis entgegenwirken – wenngleich vielleicht zum Unbill hörempfindlicher Nachbarn. Anders steht es um Tänzer, denen nun ihre täglichen Exerzitien weggebrochen sind. Der freigeräumte Wohnzimmerteppich eignet sich allenfalls für Dehnübungen am Boden, der Stuhl als Ersatz für die Stange im Ballettsaal höchstens für einige Formen des Battement. Sprünge, wichtig für Beinkraft und Kondition, fallen in normalen Mietwohnungen aus, und Bewegungen in den Raum hinein sind gleich ganz ausgeschlossen – es sei denn, jemand hat wie einst Rudolf Nurejew seinen eigenen, voll ausgestatteten Ballettsaal gleich nebenan.

Das tägliche Training ist jedoch nicht nur parallele Einzelaktion, sondern dient dem Gruppenempfinden, ist ein Gemeinschaftserlebnis und schweißt die Kompanie zusammen, nicht zuletzt durch gegenseitiges Lernen und anspornende Konkurrenz. Auch Raumgefühl und Partnergespür entwickeln sich auf diese Weise.
Auf all das müssen Bühnentänzer derzeit aus triftigen Gründen verzichten, und niemand weiß, wie lange dieser Zustand noch anhält. Dass sie hierdurch nicht ihre Form, die tänzerisch-technische Funktionalität des Körpers, verlieren dürfen, versteht sich. Denn wenn eines hoffentlich nicht zu fernen Tages die Theater wieder öffnen dürfen, erwarten die Zuschauer rechtens von allen Bühnenkünstlern volle Leistungsfähigkeit. Bei Tänzern braucht das allerdings eine intensive Vorbereitungsphase, speziell nach einer längeren Ruhezeit, wie sie gegenwärtig verordnet ist. Ein Dilemma für die Betroffenen.

Es ist daher löblich, dass man beim Bayerischen Staatsballett (und möglicherweise auch andernorts) nach Auswegen sucht – hier in Absprache mit dem Bayerischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, unter Einhaltung aller vorgeschriebenen Maßnahmen zur Infektionsminimierung und für die Tänzer auf der Grundlage absoluter Freiwilligkeit. Das angebotene Training unter strengen Gesundheitskriterien lockte immerhin einen Teil der Kompanie, das live ausgestrahlte Konzert aus überwiegend Variationen und Solopräsentationen dürfte dankbaren Zuspruch bei den Zuschauern gefunden haben. In jedem Fall festigt es die Verbundenheit des Publikums mit „seinem“ Ballett und bietet den Tänzern Berufsausübung in kunstmageren Zeiten.

Freilich sind beide, Training und Konzert, trotz allem physischen Abstand der Akteure voneinander mit einem gewissen Restrisiko verbunden. Niemand weiß bisher noch ganz genau, wie die Ansteckung mit dem Virus vonstatten gehen kann. Deshalb kündet die Teilnahme einiger Tänzerinnen und Tänzer an den Angeboten der Kompanie ebenso von Mut und Berufsethos wie etwa der tägliche Dienst von Verkäuferinnen, Briefzustellern oder der vielen Ordnungshüter, die aufklärend durch die Straßen ziehen. Verdammenswert ist all das nicht, beruht es zumindest im Tanz ja grundsätzlich auf Freiwilligkeit.

Redaktion „Dance for You Magazine“ 
Volkmar Draeger und Mihaela Vieru

Pressestatement des Bayerischen Staatsballetts:

Zur Arbeitssituation des Bayerischen Staatsballetts in Zeiten von Corona, Stand 24.3.2020:

Der Probenbetrieb des Bayerischen Staatsballetts ist seit neun Tagen komplett eingestellt. Die Sicherheit und Gesundheit der Tänzerinnen und Tänzer steht an oberster Stelle. Die Teilnahme an den von der Staatsoper eingeführten, live gestreamten Montagskonzerten erfolgt nach Rücksprache und ausschließlich auf freiwilliger Basis. Im Falle des Konzerts vom 23. März waren ein Ehepaar beteiligt, das im gleichen Haushalt lebt, sowie ein Pianist und zwei weitere Tänzer, die nicht als Paar, sondern nacheinander in einer gemeinsamen Szene aufgetreten sind. Die gezeigten Ausschnitte sind Teil des Repertoires und den Tänzern bekannt, so dass lediglich zwei individuelle Proben mit ein bis zwei Tänzern, einem Pianisten und einem Ballettmeister durchgeführt wurden. Hierbei wurden alle Sicherheitsvorkehrungen wie Mindestabstände, Händedesinfektion etc. eingehalten. Lediglich bei dem verheirateten Pärchen wurde in punkto Körperabstand eine Ausnahme gemacht. Und jedes Ballettstudio besitzt, seit langem und unabhängig von Corona, am Eingang einen Händedesinfektionsspender. Das Konzert selbst wurde ohne Anwesenheit von Masken- und Kostümbildnern durchgeführt, um weiteren Kontakt zwischen Mitarbeitern zu vermeiden. Ein regulärer Probenbetrieb mit dem Ensemble findet darüber hinaus nicht statt und wird auch weiterhin bis voraussichtlich 19. April 2020 nicht stattfinden.
Hiervon abgesehen bietet das Bayerische Staatsballett lediglich ein freiwilliges Training an, das den Tänzern die Möglichkeit gibt, sich in der momentanen Situation fit zu halten. Körperliches Training ist für Tänzer Grundvoraussetzung um zu einem späteren, hoffentlich baldigen Zeitpunkt wieder auf der Bühne arbeiten zu können. Auch hierbei gilt ein Mindestabstand von zwei bis drei Metern zwischen den Tänzern, trainiert wird in kleinen Gruppen, Körperkontakt findet nicht statt. Zudem trainieren die Mitglieder des Bayerischen Staatsballetts derzeit ausschließlich im Ballettprobenhaus am Platzl, um Kontakte mit dem Personal im Nationaltheater zu vermeiden. Sowohl Training als auch die Teilnahme an den Montagskonzerten sind für die Tänzer völlig freiwillig.
Bei allen derzeit noch möglichen Aktivitäten handeln das Bayerische Staatsballett und die Bayerische Staatsoper in enger Abstimmung und gemäß aller Vorgaben des Bayerischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Es wurden letzte Woche und werden auch weiterhin alle nötigen und möglichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen (Sicherheitsabstände, Gruppenanzahl beschränken, Desinfektionsmöglichkeiten etc). Zwar ist das Theater für den Publikumsverkehr geschlossen, es wurde aber bisher ausdrücklich kein Arbeitsverbot für die Bayerischen Staatstheater ausgesprochen. Die Künstler hoffen, den Menschen mit Formaten wie den live gestreamten Montagskonzerten Zuversicht vermitteln zu können; und ein deutliches Signal nach außen zu senden: Kunst gehört zum Leben dazu, auch in einer Krise.
Sollten die Vorgaben weiter verschärft werden, werden diese natürlich mit sofortiger Wirkung umgesetzt.