Foto: Li Cunxin
News

Tanz News

Ausgezeichnet

Eine dreiköpfige Jury hat Ende November erstmals den seit längerem angekündigten „SEDA – Salavisa European Dance Award“ (s. DfY 112) vergeben. Verliehen wird er für besondere künstlerische Qualitäten zweijährlich von der Gulbenkian Foundation und weiteren europäischen Kultureinrichtungen, die damit an den portugiesischen Tänzer Jorge Salavisa erinnern möchten. Mit seinen ausgelobten 150.000 Euro ist er der höchstdotierte Tanzpreis. Ihn teilen sich nun die in Paris lebende britisch-ruandische Sängerin, Schauspielerin, Tänzerin und Choreografin Dorothée Munyaneza und der Tänzer und Choreograf Idio Chichava aus Mosambik.

*

Einem breiteren Publikum bekannt wurde Li Cunxin vor allem durch die Verfilmung seiner 2003 erschienenen Autobiografie „Maos letzter Tänzer: Vom chinesischen Bauernjungen zum gefeierten Ballettstar“ im Jahr 2009. Dutzende von Auflagen in über 20 Sprachen hat das Buch seither erlebt, das seine Ausbildung in Peking schildert, seine Einladung nach Houston und die unerlaubte Entscheidung, dort zu bleiben. Beim Houston Ballet tanzte er 14 Jahre, ehe er zum Australian Ballet wechselte.  Seit 2012 leitet er das Queensland Ballet in Brisbane, dessen Direktor der Ex-Neumeier-Solist François Klaus seit 1997 war. Zu den vielfältigen Auszeichnungen des inzwischen 64-jährigen Wahl-Australiers Li Cunxin gesellt sich eine weitere: Beim „Prix de Lausanne“ 2025 erhielt er soeben den Preis für sein Lebenswerk.

*

Auch Twyla Tharp darf sich freuen. Sie wird im Juli bei der „Biennale Danza di Venezia 2025“ mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk geehrt. Tharp, 1941 in Portland, Indiana, geboren, wurde nicht nur vielseitig ausgebildet, in Klavier, Malerei, Französisch; zudem studierte sie, neben Kunstgeschichte, in der Schule des American Ballet Theatre bei Martha Graham und deren erstem männlichen Tänzer Erick Hawkins. Schon 1965, nach einem Zwischenspiel  bei Paul Taylor, gründete sie ihre eigene Kompanie. Für sie, das ABT, das Royal Ballet in London, das New York City Ballet und andere kreierte sie zahlreiche Choreografien. Weithin populär wurde sie besonders durch ihre Arbeit für den Film: 1979 das Musical „Hair“, 1980 „Ragtime“, 1984 „Amadeus“. Dass Twyla Tharp seit 1980 auch für Produktionen am Broadway tätig ist, so für „Singing in the Rain“, und sich Musik von Philip Glass komponieren ließ, weist auf ihren unerschrockenen Umgang mit den Stilen hin. Zwei Emmy Awards, Tony Award, Astaire Award, Kennedy-Preis sind nur einige der Auszeichnungen dafür. Mit einem Doppelprogramm zum 60. Geburtstag ihrer Kompanie wird Twyla Tharp die Biennale Danza eröffnen.

Wiener G’schichten

Die Wiener Staatsoper hat Anfang des Jahres eine zweite Spielstätte eingeweiht: das NEST – die Neue Staatsoper im Künstlerhaus am Karlsplatz, mit 251 Sitplätzen, Orchestergraben und Schnürboden. An Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien wendet sich das Programm dieses Musiktheaters, also an fast alle. Opernstudio, Opernschule für Kinder und Ballettakademie werden sich künftighin das NEST teilen. Hineingeschlüpft ist gleich auch Ballettdirektor Martin Schläpfer, und zwar mit einer fast stets ausverkauften Vorstellungsserie seiner Version von Prokofjews „Peter und der Wolf“. Kreiert hat er sie für die Jugendkompanie der Ballettakademie der Wiener Staatsoper als gut nachvollziehbares Spiel für Kinder ab sechs Jahren, 40 Minuten lang und ohne Pause.

Martin Schläpfer © Andreas Jakwerth

*

In der Volksoper hatte ein eher ungewöhnliches Projekt Premiere. Nach dem Erfolg zweier verflochtener Tschaikowsky-Werke, des Balletts „Der Nussknacker“ und der Oper „Jolanthe“ zu „Jolanthe und der Nussknacker“ 2022, haben der Dirigent Omer Meir Wellber und der Regisseur/Choreograf Andreas Heise (s. DfY 104), nun zwei scheinbar unvereinbare Musikdramen verschränkt: Viktor Ullmanns 1943/44 im Konzentrationslager Theresienstadt komponierte Oper „Der Kaiser von Atlantis“ mit Mozarts 1791 entstandenem „Requiem“. „KaiserRequiem“, dies der klammernde Titel, ist ein künstlerischer Dialog über große Fragen der Menschheit, eine Warnung vor Krieg und Allmacht. Das Wiener Staatsballett, Solist*innen, Chor und Orchester der Volksoper tragen das Projekt gemeinsam. So wie Mozarts „Requiem“-Torso gleichsam zu seiner eigenen Totenmesse wurde, darf die einstündige Kammeroper Ullmanns, kurz vor dessen Ermordung geschrieben, als sein Vermächtnis gelten. Gewidmet ist die Produktion dem Internationalen Holocaust-Gedenktag und Mozarts 269. Geburtstag, die auf denselben Tag fallen, den 27. Januar.

Gabriele Aime, Martin Winter, Daniel Schmutzhard (Kaiser Overall) – © Ashley Taylor / Wiener Staatsballett

Kahlomania

Leben, Werk und Charisma der mexikanischen Malerin Frida Kahlo (1907-1954) haben, neben dem Film, auch Choreografen zur Auseinandersetzung gereizt. Erinnert sei etwa an Johann Kresniks choreografisches Theater „Frida Kahlo“ 1992 in Bremen oder Undine Werchaus gleichnamiges Tanztheater 2014 in Cottbus. Derzeit laufen biografisch getönte Kahlo-Erhellungen als „Fridas Welt“ von Reginaldo Oliveira in Salzburg und Ricardo Fernandos „Frida“ in Augsburg. Der Friedrichstadt-Palast Berlin hat die tiefschürfende Selbstsucherin gar zur Titelfigur einer Jugendshow gemacht. Die jüngste Produktion um das von Krankheit gebeutelte Mal-Genie hat gerade eine viertägige Aufführungsserie beim Ballet Arizona in Phoenix absolviert. Die Choreografie stammt von Annabelle Lopez Ochoa (*1973), einer belgisch-kolumbianischen, vielfach ausgezeichneten Tanzschöpferin. Mehr als 100 Choreografien schuf sie inzwischen für rund 80 Kompanien weltweit. „Broken Wings“ hieß ihre erste, noch einaktige Beschäftigung mit der magischen Welt der Malerin, entstanden 2016 für das English National Ballet. Tamara Rojo war damals Frida, Irek Mukhamedov ihr Mann Diego Rivera. Die auf drei Akte erweiterte Version „Frida“ erlebte ihre Uraufführung 2020 bei Het Nationale Ballet in Amsterdam. Sie hielt nun Einzug ins Repertoire des Ballet Arizona. Die gegenwärtig 27 Positionen zählende Kompanie wurde 1986 aus drei kleineren Ensembles gegründet und wird neuerdings von Daniela Cardim, Ex-Solistin in Rio de Janeiro und bei Het Nationale, geleitet. Sie folgt auf Ib Andersen, einem der Stars der Bournonville-Tradition, der die Gruppe von 2000 bis 2024 prägte. Ihr Spielplan reicht von Klassikern wie „Schwanensee“ bis zur Neoklassik eines George Balanchine.

 

„Frida“, Ch. Annabelle Lopez Ochoa, Ballet Arizona © Hans Gerritsen – Courtesy Dutch National Ballet
Ausgelastet

Rekordverdächtigen Zuschauerzuspruch melden Ballettkompanien und Ensembles querbeet. So freut sich das Staatsballett Berlin für die Spielzeit 2023/24 über die mit 98,2 Prozent beste Auslastung seit seiner Gründung im Januar 2004. Über 75 Prozent aller Vorstellungen, das sind 64 der 84 gegebenen Abende, waren ausverkauft, darunter „2 Chapters Love“ mit Choreografien von Sol Léon und Sharon Eyal, das dreigeteilte Personalporträt „William Forsythe“ sowie als nimmermüder Klassiker „Giselle“. Auch die literarische Anverwandlung „Bovary“, Christian Spucks choreografischer Einstand als neuer Ballettintendant, gehört mit 96 Prozent Besuchern in diese Riege. Insgesamt sahen 108.957 Besucher*innen die Programme des Staatsballetts.

*

Auf ein Rekordjahr kann auch der Friedrichstadt-Palast Berlin zurückblicken, das erfolgreichste seiner Geschichte. Mit einem Ticketumsatz von 33,65 Millionen Euro und 550.182 zahlenden Gästen hat er 2024 eine bisherige Bestmarke erreicht. Eine durchschnittliche Auslastung von 93,2 Prozent bei immerhin 1.899 Sitzplätzen weist den Palast als besucherstärkste Bühne Berlins und unverzichtbar für die hauptstädtische Kulturlandschaft aus. Zu dem Umsatzplus trugen alle drei Produktionen, „Spiel mit der Zeit“, „Falling I In Love“ und „Frida & Frida“, bei. Die aktuelle Grand Show „Falling I In Love“ spielte bislang allein 31,8 Millionen Euro ein. Bis zu ihrer Derniere am 5. Juli dürfte sich dieser Betrag noch deutlich erhöhen. Auch die Young Show „Frida & Frida“ (s. DfY 118) um die charismatische mexikanische Malerin Frida Kahlo schlägt mit knapp 47.000 verkauften Tickets und einer Auslastung von 99,3 Prozent umsatzsteigernd zu Buche.

*

Auch aus dem Theater Magdeburg kommen gute Nachrichten: über das einnahmenstärkste Jahr seiner Geschichte. Rund 160.000 Zuschauer besuchten im Theaterjahr 2024 die 927 Vorstellungen. Die Auslastung liegt damit bei 85,7 Prozent gegenüber 82,3 Prozent noch im Vorjahr. Damit konnten Einnahmen in Höhe von 3,4 Millionen Euro erwirtschaftet werden, 200.000 Euro mehr als 2023. Premiere hatten 2024 28 fast ausverkaufte Vorstellungen im Opernhaus und im Schauspiel. „Carmen“ gehörte ebenso dazu wie das Musical „Anything Goes“ und das bereits vorab ausgebuchte DomplatzOpenair „Liebe stirbt nie“ mit seinen 22.876 Zuschauern. Mehr als 5.500 Besucher*innen zog „Borgia“ (s. DfY online) an, ein vielfarbiger Bilderbogen, den Ballettdirektor Jörg Mannes als fulminantes Spektakel um den höchst umstrittenen Renaissance-Papst Alexander VI. entworfen hat. Zu 100 Prozent war als Zusatzangebot die choreografische Kunst-Erkundung „Grand Tour“ der Ballettkompanie im Kunstmuseum Magdeburg ausgelastet.

Abschied

Wieder ist die Welt des Tanzes um ein hoffnungsvolles Talent, eine wichtige choreografische Stimme ärmer: Dada Masilo. Sie war es, die europäische Klassik und afrikanische Sichtweise unverwechselbar zusammenführte. Ausgangspunkt dafür dürften die eigenen Erfahrungen der am 21. Februar 1985 in Soweto geborenen Südafrikanerin gewesen sein. Bereits mit 11 nahm sie Tanzunterricht in Johannesburg, den sie an der National School of Arts fortsetzte: in klassisch europäischem und zeitgenössischem Tanz. Auf diese solide Grundlage berief sie sich später gern. Das Video einer Choreografie von Anne Teresa De Keersmaeker bewog sie, zwei Jahre an deren P.A.R.T.S. in Brüssel zu studieren. 2006 kehrte sie in die Heimat zurück und begann, selbst eine ausdrucksstarke Tänzerin, zu choreografieren. Ihre mit südafrikanisch traditionellen Bewegungsstilen angereicherten, sozial reflektierten, kritisch hinterfragten Neuinterpretationen von „Romeo und Julia“ (2008), „Carmen“ (2009), „Schwanensee“ (2010) trugen ihr nationale Erfolge, dann auch Einladungen nach Europa, 2015 und 2016 in die USA, nach Kanada und Australien ein. Ihr „Schwanensee“ war 2016 in New York für den Bessie Award nominiert, „Giselle“ gewann 2017 den Danza&Danza Award in Italien. Auch „The Sacrifice“ nach Strawinskys „Sacre“ und durchwebt mit taditionellen Tänzen machte 2022 vielerorts Furore. Der Premio Positano Léonide Massine ehrte 2024 das Lebenswerk der gerade 39-jährigen Künstlerin; als eine der „artistic icons in the City of Gold“ wurde sie mit einem Stern im Soweto Theater von Johannesburg geehrt. Noch 2024 zeigte sie in Wien ihre Fassung von „Hamlet“ und tanzte selbst die Ophelia. Im selben Jahr, am 29. Dezember, hat eine nicht näher bezeichnete Krankheit Dada Masilo aus der Arbeit an einem Solo über den Verlust geliebter Menschen gerissen.

„Hamlet“, Ch. Dada Masilo. Im Bild: Dada Masilo & Ensemble © Lauge Sorensen

 

*

Sie darf als Zeugin eines Jahrhunderts des postmodernen Tanzes hin zum zeitgenössischen Tanz gelten: die 97-jährig verstorbene Carolyn Brown. Immerhin war ihre Mutter in Boston Schülerin von Ted Shawn, der gemeinsam mit Ruth St. Denis den amerikanischen Modern Dance etablieren half. Eine Masterclass 1951 bei Merce Cunnigham bestimmte den Weg der am 26. September 1927 in Massachusetts Geborenen. Tanzstudien an der Juilliard School und bei Cunningham ließen sie 1953 zu einem der Gründungsmitglieder von dessen Kompanie werden. Bis 1972 war sie in rund 40 Choreografien Cunninghams die führende Tänzerin, wurde von ihm und John Cage auch in den Entstehungsprozess neuer Werke einbezogen. Beschrieben wird sie als Tänzerin von großer Klarheit und Virtuosität. Nach ihrem Rückzug blieb sie der Kompanie vielfältig verbunden, schuf eigene Choreografien, wirkte als Pädagogin und veröffentlichte 2007 ihre Memoiren. Am 7. Januar ist sie in Millbrook im Osten des Bundestaates New York hochbetagt verstorben.