IN CANTUS, Ch. Gianni Cuccaro.Tänzer*innen Daniel Moret Chanzá, Caterina Cerolini und Cristian Colatriano. Foto Rolf K. Wegst
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Tanz alle Welten

Von Alexandra Karabelas

Zum 26. Mal lädt  Tarek Assam, seit 2022 Ballettdirektor am Harztheater, zum TanzArt ostwest festival. Zum zweiten Mal findet es seit Freitag somit in Sachsen-Anhalt statt, in den Städten Halberstadt, Wernigerode, Bernburg und Quedlinburg, wo für das kommende Wochenende mit sechzehn Gast-Kompagnien und Gastchoreograf*innen aus dem TanzArt ostwest-Netzwerk die bereits legendären Tanz-Galas in den Startlöchern stehen. Die Eröffnungspremiere war erneut im Dom zu Halberstadt angesiedelt.

ENCOUNTERS, CH: Paul Julius, Ensemble

Drei bestechende Uraufführungen von Paul Julius, Juan Tirado und Tarek Assam verwandelten die geschichtsträchtige Basilika unter dem Motto „Tanze alle Welten“ einen Abend lang in ein Tanzhaus. Die brisanteste Wirkung entfaltete dabei Juan Tirados „El disgenio. Es gibt in dem Stück weder Weichheit noch Ordnung, dafür Disbalance und Verletzbarkeit. Dumpfes Niedergedrücksein herrscht vor. Es existiert nur die Gruppe mit wechselnden Einzelnen, die diese wiederum steuern, leiten und halten, jedoch kaum Individualität. Es geht ihnen ums Durchkommen müssen, gemeinsam als Gruppe, in der die Wut bereits brodelt. Oft sind die Rücken rund, zeigen die Oberkörper nach unten und werden gepeitscht und getrieben von den Rhythmen mitten hinein in rasches Vorwärts, getragen von Laufschritten im Kreis, bevor sie sich wieder bündeln und verflechten und mit knappen, eng um den Körper geführten Bewegungen der Hände, Ellenbogen und Arme ihre Forderungen formulieren. Kämpferisch werden die Fäuste nach oben gereckt, sodann erobern die Beats und Grooves erneut die Körper, die ihre Bewegungen ganz im Inneren gebären.

Alle Fotos: Rolf K. Wegst

 EDERLEZI, Ch. Tarek Assam, mit Marianna Pavento, Alessia Ricci und Michele Carnimeo
EL DISEGNO, Ch. Juan Tirado, mit Cristian Colatriano und das Ensemble

Turado kommt unübersehbar aus dem Street Dance und hat sich preisgekrönt ins Zeitgenössische hochgearbeitet.  Den Counterpart zu diesem Stück lieferte Paul Julius, seit 2021 künstlerischer Direktor der Japan Contemporary Dance Company in Kawasaki. Geflüsterte Worte voller Poesie von einem lyrischen Ich, das das Du sucht, wechseln sich ab mit Musik von Georg Friedrich Händel. Es entsteht ein Raum der Sehnsucht und der Ordnung, den der Tanz durch klare Formen und das Aufgreifen der Symmetrien in der Musik sichtbar macht. Das Bewegungsmaterial nutzt den großen Umraum aus, die Arabesken entfalten sich hoch und weit aus der neoklassisch geprägten Bewegungsstruktur heraus. Dass Tarek Assam es nach diesen beiden starken und gegensätzlichen Stücke schafft, den Ball aufzugreifen und dem Titel des Abends „Tanze alle Welten“ mit seiner Uraufführung „Ederlezi – Von Clowns und Träumen“ die Krone aufzusetzen, indem er eine Choreografie des Festes und der Extase, der Wildheit und der Sinnlichkeit nahezu explodieren lässt, ist großartig. Assam war in den vergangenen Wochen tief in Kunst, Kultur und dem nomadischen Schicksal der Sinti und eingetaucht und hatte ihre Musik, vor allem von Goran Bregovic, inhaliert wie Regen an einem warmen Sommertag. Eine besondere Rolle hat die Tänzerin Caterina Cerolini. Ab Beginn mitten in der Gruppe schließt sie als einzige die Augen und lässt sich mit sanften Bewegungen in eine Welt des Traumes hineingleiten, während das Ensemble um sie herum mit offenen Augen das Hier und Jetzt in zahlreichen aufeinander reagierenden Soli, dann Duetten, dann wieder Gruppenszenen feiert. Dazwischen schneiden sie in eine aufgestellte Videokamera wie Clowns Grimassen und feixen und spaßen und verliehen der leidenschaftlich getanzten Choreografie eine spannende, melancholische Tiefe. Den Epilog zum Eröffnungsabend bildet schließlich am nächsten Tag das Werk „In_Cantus“ von Gianni Cuccaro.