Madoka Sugai in „Dornröschen“, Hamburg Ballett © Kiran West
EXKLUSIV+Performance

Sich erheben wollen: Über Codes im Ballett.

Vor hundert Jahren schrieb der Kunstwissenschaftler Akim Lwowitsch Wolynski einen epochalen Beitrag zum Ballett, der heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. 1861 als Ḥayim Leibovich Flekser in der ukrainischen Stadt Schytomyr geboren, studierte der Sohn eines Buchhändlers Jura, bevor er als Kritiker, Journalist, Herausgeber und Autor auf den Gebieten von Literatur, Philosophie, Theater und Kunst arbeitete. In den Jahren 1905 und 1906 leitete er das Kommissarschewski-Theater in Sankt Petersburg. Zur gleichen Zeit veröffentlichte er eine Reihe von Texten zur Geschichte und Theorie des Balletts. Sein Bezug zum Tanz ergab sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass er die Leitung der Staatlichen Choreografie-Hochschule in Leningrad (wie Sankt Petersburg nach der Oktoberrevolution 1917 hieß) innehatte. Wolynskis moderne Thesen provozierten mitunter Unverständnis oder auch harsche Gegenstellungnahmen seiner Zeitgenossen.

Sein „Buch des Jubels“ über die mannigfaltige (Be)Deutung des Balletts erschien 1925, ein Jahr vor seinem Tod, in russischer Sprache. Leider ist es nicht in Gänze überliefert, doch zeugen die erhaltenen Kapitel von einer systematischen Beschäftigung des gebildeten, jüdischen Nicht-Tänzers Wolynski mit den Möglichkeiten der Rezeption dieser von ihm sehr geschätzten Bühnenkunst.

Akim Lwowitsch Wolynski, so sein Pseudonym, ging von der grundsätzlichen Möglichkeit des Verstehens eines Balletts und des klassisch-akademischen Bewegungskanons aus, selbst wenn man – so wie er – nicht in diesem Metier ausgebildet wurde. Obwohl er das Wort so vermutlich im Original nicht verwendete, erkennt er in der Tanzkunst bestimmte Kodifizierungen, die dem Betrachter einen Zugang erlauben, weil sie entweder archaischer Natur und somit Allgemeingut sind oder zum kulturellen Erbe der Menschheit gehören.

Da ist zunächst die vertikale Ausrichtung im klassischen Tanz.

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