"Lontano", Ch. Christian Spuck, Matthew Knight und Sujung Lim. Foto Gregory Batardon
Kritiken

„On the Move“ in Zürich

Das Ballett Zürich in Bewegung

Eine Art Abschiedspostkarte soll Christian Spucks letztes Stück für das Ballett Zürich werden, denn mit einem Bein steht er schon in Berlin. „Lontano“ von György Ligeti zum Abschied von Zürich nach elf Jahren bildet den Schluss des dreiteiligen Ballettabends, der drei Generationen von Choreografen vereint: van Manen, Stiens und Spuck. „On the Move“ ist auch musikalisch gesehen ein großer Auftritt. Dirigentin Alevtina Ioffe feiert ihr Début mit der Philharmonia Zürich, einem Orchester, das mit Christian Spuck schon viele Wagnisse eingegangen ist und für aufsehenerregende und preisgekrönte Produktionen gesorgt hat. Man denke an die „Messa da Requiem“, die „Winterreise“ oder „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“.

Den Auftakt macht der Älteste von ihnen, 90 Jahre alt und eine Ballettlegende, Hans van Manen: „On the Move“, 1992 für das Nederlands Dans Theater choreografiert und auch heute noch sehens- und hörenswert. Sieben Paare in eleganten Trikots von Keso Dekker begegnen sich in Sergej Prokofjews Erstem Violinkonzert. Blicke, schnelle Schritte und Formationen in äußerster Präzision lassen die spannungsgeladene Musik erst richtig erstrahlen. Rückblickend sagt van Manen: „Ich fand es am Anfang alles andere als einfach. Besonders die Wiederholungen in der Partitur haben mich damals beschäftigt. Müsste ich da in der Choreografie nicht etwas anderes machen? Aber ich habe mich dann doch für eine choreografische Wiederholung entschieden, und wenn das toll getanzt wird, ist das absolut richtig.“ Und das Ballett Zürich hat „On the Move“, einstudiert von Ken Ossola, mehr als toll getanzt – ein Hochgenuss. Das Publikum dankt Hans van Manen, der nach Zürich gereist ist, mit kaum enden wollenden Standing Ovations.

Alle Fotos: Gregory Batardon

Michelle Willems und Matthew Knight in Hans van Manens „On the Move“
Katja Wünsche und Jan Casier, Ch. Hans van Manen „On the Move“

Ganz anders, aber nicht weniger großartig präsentieren sich die Tänzerinnen und Tänzer im zweiten Stück von Louis Stiens, dem Jüngsten. Der Stuttgarter Tänzer und gefragte Choreograf hat 2018 für das Junior Ballett „Wounded“ kreiert. „Tal“ für die Hauptcompagnie ist in enger Zusammenarbeit mit Shaked Heller und der Bühnenbildnerin Bettina Katja Lange entstanden. Sie hat ein faszinierendes Gebilde kreiert, das den dunklen Bühnenraum beherrscht. Eine Art Berg, den man erklettert und in dessen Mulden und Höhlen man sich verkriechen kann. Von Stiens in hautenge und hautfarbige Kostüme gesteckt, geistern die geschmeidigen Wesen über die Bühne. Matthew Knight erinnert an Nijinskys Faun, denn die von Naturgewalten inspirierte Musik von Claude Debussy und Maurice Ravel verströmt eine von Begehren aufgeladene und beinahe idyllische Stimmung. Diese wird brutal gebrochen durch eine Collage aus Klängen und Knacken, aufgenommen in der Natur, die keine mehr ist. Weh tut das, vor allem in Kombination mit den Körpern, den Leibern, die vom Gipfel des Objekts zu „Tal“ gleiten, stürzen, sterben – wunderschön, aber ziemlich heftig.

Meiri Maeda in „Tal“ Ch. Louis Stiens
Domink White Slvkovsky, Jan Casier in „Lontano“, Ch. Christian Spuck

Christian Spucks Letzte ist nach seiner großen Monteverdi-Produktion in der vorigen Saison ein kleiner, lockerer Einakter: György Ligetis Orchesterwerk „Lontano“ steht im Zentrum, flankiert von eingespielten Klavierstücken von Alice Sara Ott (Chopin und „Lullaby to Eternity“) und dem „Kol Nidre“ für Orchester von John Zorn. Dass die in kurzer Zeit, aber mit eingespielten Tänzern erarbeitete Choreografie der Musik spät begegnet ist, merkt man dem Stück an. Bühnenbildner Rufus Didwiszus und Lichtgestalter Martin Gebhardt entwerfen ein helles Viereck auf dem Parkett, das im Bühnenhimmel durch eine schräge Ebene gespiegelt wird, einer Filmklappe – die Letzte – nicht unähnlich. Aus den Kulissen tauchen die Tänzerinnen und Tänzer in für einmal nicht opulenten Kostümen von Emma Ryott auf, betreten den Ring, tanzen in gewohnter Manier und verschwinden wieder. Farbtupfer im nüchtern-düsteren Raum. Welche gehen mit nach Berlin? oder anderswohin? Wer bleibt uns hoffentlich erhalten? Die Musik verstummt, der Vorhang fällt, aber der Pas de Trois geht weiter. Bereits schleicht sich der Abschiedsschmerz an, dabei ist „On the Move“ eigentlich ein bewegender, ja beglückender Ballettabend.

Evelyn Klöti