Zwei Dokumentarfilme beleuchten im Vorfeld die Breaking-Szene und stellen verschiedene charismatische Tänzerinnen und Tänzer vor.
von Vesna Mlakar
„Reißt Barrieren ein, setzt euch über Regeln hinweg, brecht mit den Traditionen“ – sieht man auf einem riesigen Plakat unter einem Foto von Jilou Rasul geschrieben, im französischen Original dreimal mit dem Verb „cassez“. Mit einem solchen Slogan ist man zum Erfolg geradezu verdammt. Auf einer Hand balancierend ragen Rasuls überkreuzte Beine in die Luft. Zwei Finger ihrer freien Hand lässig an die Stirn gedrückt lächelt die Breakedancerin cool von einer Fassadenwand. Die 30-Jährige zählt zur Weltspitze unter den B-Girls. Finanziell abgesichert durch den Vertrag mit einem großen Sportartikelhersteller trainiert sie als Medaillen-Kandidatin in der deutschen Auswahl für Olympia.
Der Kinderwunsch ihres Freunds, der mit ihr die Leidenschaft für den „urbanen Tanz“ teilt, muss da vorerst hintanstehen – wie man in „Dancing Heartbeats“ erfährt. Wie Viola und Frieda, ihre Mitstreiterinnen und Battle-Partnerinnen, sieht sich Jilou als Wegbereiterin für die nächste Generation junger Mädchen und möchte mehr Gleichberechtigung beim Breaken erreichen. Genau darum sollte es – laut Ankündigung – inhaltlich in dem Kino-Dokumentarfilm auch gehen. Der Regisseurin Lisa Wagner gelingt es aber leider nicht, diesen thematisch wichtigen Aspekt anschaulich herauszuarbeiten. Es bleibt bei einigen kurzen diesbezüglichen Gesprächssequenzen, was einfach zu wenig ist – insbesondere im Vergleich zu einem ab 20.6. in die Kinos kommenden Konkurrenzprodukt.
„Dancing Heartbeats“ hinterlässt beim Zuschauer einen viel weniger fokussierten Eindruck als Maike Conways beim Münchner DOK.fest unter dem Titel „2unbreakable“ gezeigte filmische Beobachtung zweier Breaking Teams: Über die 24-jährige Joanna – einziges B-Girl der Saxonz Dresden, Studentin der medizinischen Psychologie, mittlerweile im Bundeskader für die Olympischen Spiele – und den Uiguren Serhat der Münchner Sankofa Crew wird man vielschichtig mit dem Hineinwachsen in die Breaking Culture als Lifestyle voller Spontanität und kreative Kunstform vertraut gemacht. Schon aufgrund der Personenkonstellation schwingt hier bereits mit, worauf „Dancing Heartbeats“ letztlich hinauswill. Wagners um die Welt reisendes Frauen-Trio vermag zwischen privaten Momenten, Trainingseinheiten und Wettkämpfen erzählerisch wenig draufzusatteln. Eint Leistungsgedanke und individuelle Erfüllung durch das akrobatische Tanzen doch die charismatischen Akteure beider Filme.
Nun wird – als erster Tanzsport überhaupt – Breakdance in diesem Sommer als neue Disziplin der Olympischen Spiele in Paris an den Start gehen: ein – durchaus nicht unumstrittener – Meilenstein für die Szene, die sich körperlich stets hart verausgabt und deren Ursprünge in den 1970er Jahren auf die afro-amerikanische und Latino-Jugend der Bronx in New York City zurückgehen. Vor diesem Hintergrund hätte ein Vertiefen von Jilous Geschichte ausreichend Material für einen Dokumentarfilm geboten. Für ihren zweiten Langfilm hatte Wagner offenbar andere Ziele. Sie wollte Breaking verstehen – und was die Frauen unermüdlich antreibt, die sich ihren Platz in einer immer noch stark männerdominierten Gemeinschaft bereits erkämpft haben.
Der Ausdruck „Ventil“ fällt. Frieda, von einer Knieverletzung ausgebremst, denkt über den Verlust von Identität nach. Mit 39 ist sie ein B-Girl der ersten Stunde und muss akzeptieren, von Jüngeren ausgebootet zu werden. „Die Mädels heute können in zwei Jahren lernen, wofür ich sechs oder sieben gebraucht habe“, erklärt sie. Hinter ihr im Studio dreht ein kleines Mädchen sehr souverän perfekte Headspins. „Wenn man einmal erkannt hat, dass jede Generation einen Wissensvorsprung hat gegenüber der alten, dann ist es gar nicht mehr so schwer anzuerkennen, dass die einfach besser werden.“
Während der Pandemie steckt Frieda in Marokko fest, wo sie beim Goethe Institut einen Job findet, der zu ihr passt und ihr im Rahmen einer Kompanie neue Möglichkeiten aufzeigt. Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung, Mut zu eigenen Träumen sind Violas Stichworte. Die Kolleginnen attestieren ihr, „zum Glück keine Battle-Sau“ zu sein. Anders als die total zielstrebige Jilou will sie vor allem als Tänzerin und nicht bloß B-Girl wahrgenommen werden. Das Breaken, das eben nicht einfach bloß ein durchorganisiertes Sportevent ist, verbindet sie mit zeitgenössischem Tanz. Die Entfaltungsmöglichkeiten innerhalb einer Disziplin im Spannungsfeld von Profisport und Bühnenkunst herauszustellen, bringt „Dancing Heartbeats“ wiederum Pluspunkte. Wer bei den Olympischen Entscheidungen mit genügend Hintergrundwissen mitreden möchte, sollte sich beide Filme ansehen.