Bridget Breiners „Ruß – eine Geschichte von Aschenputtel“ mit dem Ballett am Rhein im Theater Duisburg
Von Bettina Trouwborst
Duisburg. Der Prinz ist irritiert: Der Schuh, den er in den Händen hält, ist ein verrußter Bergarbeiterstiefel. Verloren hat ihn die schöne Tänzerin, mit der er die Ballnacht verbracht hat, bei ihrem überstürzten Aufbruch. J. R. Prince, so der anspielungsreiche Name des Industriellen, ist umso verwirrter, als seine Tanzpartnerin barfuß war. „Ruß – eine Geschichte von Aschenputtel“ heißt Bridget Breiners grandioses Erzählballett, das jetzt mit dem Ballett am Rhein im Theater Duisburg Premiere feierte.
Zu Beginn ihrer erfolgreichen Zeit als Ballettchefin des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier choreografierte Breiner das Tanzstück 2013 – und machte den Märchenstoff passend für den Ruhrpott. Dafür verdiente sie sich den wichtigsten deutschen Theaterpreis „Der Faust“ in der Kategorie „Beste Choreografie“.
In ihrem ersten abendfüllenden Handlungsballett erzählt die Chefchoreografin des Ballett am Rhein das Märchen neu aus der Perspektive von Livia, eine der Stieftöchter. Konsequent durchdacht ist der Plot, mit überraschenden Wendungen. Bild reiht sich an Bild in diesem Ballett-Theater. Es beginnt mit einem Spot auf eine gut gekleidete Familie mit zwei Töchtern. Im nächsten Bild ist der Vater verschwunden. Die Kleidung wird ärmlich.
Emilia Peredo Aguirre (Clara), Yoav Bosidan (Arbeiter), Kauan Soares (Arbeiter) © Ingo Schaefer
Francesca Berruto (Livia), Olgert Collaku (J. R. Prince, Sohn eines Industriebarons) © Ingo Schaefer
Schon sieht man die schöne, zielstrebige Mutter ihre beiden Töchter an den angewinkelten Armen hinter sich herziehen – wie einen Karren. Überhaupt ist die Choreografie symbolkräftig: So hält die berechnende Frau immer wieder andere Menschen im Würgegriff. Norma Magalhaes tanzt majestätisch auf Spitze den Inbegriff der Boshaftigkeit. In einem Kohleabbaurevier findet sie, was sie sucht: einen Ernährer für ihre Familie. Dieser namenlose Witwer ist ein ernsthafter Mensch, offenbar Vorgesetzter der Bergarbeiter. Erst als seine unbeschwerte Tochter Clara auftaucht, ebenfalls in Bergarbeiterkluft, hält sich seine Miene auf: Die beiden sind sehr vertraut, haben ihren ganz eigenen Vater-Tochter-Tanz. Clara ist everybody’s darling – insbesondere der schmutzigen Arbeiter. Der Besen, der sie fortan begleitet, drückt die Stimmung ein wenig.
Die Auswahl der Musik ist kontrastreich – und inspirierend: Live auf dem Akkordeon spielt Marko Kassl stimmungsvolle, meist melancholische Melodien. Dazwischen erklingen vom Band Arbeiterlieder aus den 1930er Jahren, Camille Saint-Saëns/Nina Simone sowie Walzer und Ballettmusik zu „Aschenbrödel“ von Johann Strauss (Sohn).
Wobei die Strauss-Kompositionen schon pompös wirken im Kohlenrevier. Überhaupt arbeitet Breiner mit Ironie und unterschwelligem Witz. Aschenputtel trägt mit Clara den Namen der Hauptfigur in dem plüschigen Ballett „Der Nussknacker“. Und: Überzeichnet bis zur Karikatur wirkt die manipulative und grausame Stiefmutter, Aschenputtel-Clara scheint das Strahlen nicht aus dem Gesicht zu weichen – geschuldet wohl der Perspektive Livias. Francesca Berruta gelingt in der Rolle des leidenden, introvertierten Mädchens eine feine, psychologische Zeichnung der Figur. Hin- und hergerissen zwischen Eifersucht und Faszination, fühlt sie sich unbehaglich, dreht und wendet sich in hölzern-eckigen Bewegungen. Während die kleine Schwester – herrlich eigensinnig Phoebe Kilminster – sich mit Clara anfreundet.
Nicht recht glaubhaft scheint, wie der Vater zulassen kann, dass seine geliebte Clara schikaniert wird. Als Industriebaron Prince die Familie zum Ball einlädt, reißt die Stiefmutter ihr das schöne Kleid, ein Geschenk des Vaters, vom Körper. Erst im zweiten Teil wendet er sich von seiner neuen Frau ab in einem starken Pas de deux. Berührend, wie sich Vater und Tochter in ihrem zarten Erkennungstanz wiederfinden. Es ist überhaupt ein Abend der Duette. Neben den Ensembletänzen der Bergarbeiter und der Ballgesellschaft begegnen sich all die Hauptfiguren fast ausschließlich in Zweierkonstellationen.
Nelson López Garlo (Vater von Clara), Emilia Peredo Aguirre (Clara) © Ingo Schaefer
Im Zentrum steht die Frage nach dem Opfer in dem Märchen. Clara ist bei Breiner eine starke Persönlichkeit und scheint kaum zu leiden. Ihre „böse“ Stiefschwester dagegen gerät durch den Druck der Mutter in eine Krise, die sie eifersüchtig und neidisch macht und sogar die kleine Schwester schlägt. Ein bisschen Glück erfährt sie nur durch das Interesse eines Bergarbeiters und J. R. Prince. Doch der Industriellensohn wendet sich bald anderen zu und verliebt sich – natürlich – in Clara. Konsequent bringt Breiner ihre Geschichte zu einem überzeugenden Schluss: Livia findet den wichtigsten Menschen in ihrem Leben: sich selbst.
„Ruß“ ist ein modernes, durchdachtes Handlungsballett, eigenständig in Plot und Erzählweise.
Dazu spannend – mit winzigen Hängern in den Ensembleszenen – und unterhaltsam.