Pablo Octávio (Sebastian), Lucia Solari (Olivia) Fotos Costin Radu
Kritiken

Love is in the air

Bridget Breiner adaptiert in Karlsruhe William Shakespeares Komödie “Was ihr wollt”

 

„Was ihr wollt“, im Original „Twelfth Night“, ist eine der Shakespeare-Komödien, die nur relativ selten auf der Ballettbühne landen. Antony Tudor hat es einst in seinem Erstlingswerk unter dem Titel „Cross-Gartered“ versucht, John Neumeiers „Vivaldi oder Was ihr wollt“ aus dem Jahr 1996 tauchte später gekürzt in seinen „Shakespeare Dances“ wieder auf, auch Boris Eifman hat es versucht. Bridget Breiner bringt nun die Verwechslungskomödie um die schiffbrüchigen Zwillinge Viola und Sebastian als ihr erstes abendfüllendes Stück im Badischen Staatstheater auf die Bühne: Fröhlich und bunt, mit einem verspielten, oft trockenen und zuweilen flapsigen Humor, gegen den einem Neumeiers clowneske Optik dann geradezu preziös erscheinen mag. Ansonsten passt hier in Karlsruhe alles: die Choreografin charakterisiert ihre Figuren fein und besetzt sie mit den idealen Tänzern, auch kann sie so erzählen, dass man die Handlung ohne Kenntnis der Vorlage versteht. Zartfühlend zeigt Breiner die echte Liebe und höchst turbulent die Komik um den Hausverwalter Malvolio sowie den bunten Haufen nutzloser Verwandter, die sich am Hof der traurigen Gräfin Olivia tummeln. Mag die Komik zwischendurch brachial oder auch mal albern wirken: Es gibt viel zu lachen an diesem Abend, und die Choreografin lacht mit großem Verständnis mit ihren Figuren, nicht über sie.

Zum Stirnrunzeln bringt einen ein, zwei Mal die Musikauswahl – nicht, weil Dirigent Rubén Dubrovsky in seine schöne Partitur aus Werken Jean-Philippe Rameaus mitunter Arrangements alter, zum Teil außereuropäischer Tänze einbaut, deren rauer Schlagwerk-Ton die unterschwelligen Gefühle wiederspiegelt, auch nicht wegen der herrlich altmodischen, das Theatralische betonenden Windmaschine zum Kurbeln und dem Donnerblech. Nein, weil Bridget Breiner ab und an einen Popsong in die Barockmusik reinknallt, mit – zugegeben – maximaler satirischer Wirkung. So läutet am Ende des ersten Aktes John Denvers Klassiker „Annie‘s Song“ (“You fill up my senses“) eine Art Flower-Power-Liebesseligkeit ein, plötzlich wirbeln turtelnde Paare durch Blütenblätter und illustrieren die „Love is in the air“-Stimmung der vielen verliebten Hauptpersonen, die in rasantem Wechsel auf einem Parkbänkchen erscheinen. Im zweiten Akt erklingt die E-Gitarren-Version des Songs und die Chaostruppe aus der Palastküche rockt ab, auch hier entgleist die Komödie kurzfristig auf sehr heitere Weise.

Pablo Octávio (Sebastian), Francesca Berruto (Viola) Alle Fotos Costin Radu 

Ausstatter Jürgen Franz Kirner hat einen großen, bunten Farbtornado auf den Boden gemalt und auch über der Bühne hängt ein schräger Wirbel aus Lampions: Sinnbilder des anfänglichen Sturms, der die Personen durcheinanderwirbelt. Die bunten Kostüme stammen aus verschiedenen historischen Epochen und tragen vor allem zur Charakterisierung ihrer Träger bei. Ein großes blaues Tuch wallt als Meer, der Schiffbruch wird mit den guten alten Theatereffekten, aber äußerst wirkungsvoll gezeigt. Um den gezierten Malvolio zu ärgern, kurven die Intriganten in vier fahrbaren Büschen um ihn herum, Breiner spielt regelrecht mit den Komödientricks. Paul Calderone legt als gestrenger, seiner Eitelkeit erliegender Haushofmeister tolle Auftritte hin, erst im voluminösen weißen Nachthemd samt Zipfelmütze, später in seinen knallgelben Strümpfen. Er spreizt sich in seiner Eitelkeit geradezu obszön und bekommt am Schluss, als er in einem der tragischen Momente des Abends zerstört am Boden liegt, doch wieder seine Würde zurück. Eine tolle Rolle hat auch Balkiya Zhanburchinova als handfeste Kammerzofe Maria, Joāo Miranda tollt als losgelöster Narr durchs Geschehen. Die ostentativ trauernde Gräfin Olivia (die elegante Lucia Solari) bricht mitten im tiefsten Schmerz plötzlich in lautes, unballettöses Weinen aus, wieder so ein Moment, an dem Breiner das Pathos mit Pointen bricht. Die Liebesbriefe, die Orsino an die angehimmelte Olivia schickt, ziert in unseren Emoji-Zeiten einfach nur ein großes rotes Herz, und alle verstehen, was gemeint ist.

Olgert Collaku (Sir Toby), Balkiya Zhanburchinova (Maria) & Dienerinnen

Bridget Breiner, einst Erste Solistin im Stuttgarter Ballett, folgt einer Tradition, die ihre Exkollegen Christian Spuck und Demis Volpi genauso gut beherrschen: Die Inszenierung und das Drumherum stimmen – eine gute Musikauswahl, die ideale Partnerschaft mit Bühnen- und Kostümbildner, das Erzählen und die dramaturgische Struktur gelingen originell. Allein mit dem Tanz wird man nicht so ganz glücklich, obwohl „Was ihr wollt“ munter dahinsprudelt und in jeder Minute aussagekräftig ist. Es wirkt nur einfach nicht wie Tanz, eher wie Bewegungstheater, ein feiner, nuancierter Körperhumor. Wohl fliegen Orsinos Soldaten ab und zu mit großen Jetés herein, wohl lassen die Dienerinnen in virtuosen Pirouetten ihre Röckchen wirbeln, wohl beeindrucken die kurzen Szenen mit dem gesamten Ensemble. Wohl verwandelt Breiner die starke Verbindung der Zwillinge Viola und Sebastian in spiegelbildliche, sich wie Yin und Yang ergänzende Bewegungen, zeigt uns quasi eine Person, die sich in Mann und als Frau auflöst. Ihr Vokabular beruht auf dem klassischen Idiom, ergänzt wird es oft durch eine Art Nach-innen-Wenden der Dynamik, ein In-den-Körper-hinein-Drehen mancher Motionen. Dramaturgisch setzt die Choreografin ihr Ensemble zuweilen in kurzen Bildern als Vervielfachung der Hauptpersonen ein, besonders gut liegt ihr die groteske Komik, das Zickige und Extravagante. Aber auch dabei bleiben Gestik und Mimik wichtiger als die expressive Bewegung des gesamten Körpers.

Francesca Berruto (Viola)

Vielleicht ist es ebenfalls eine Begabung, die man in der Stuttgarter Cranko-Tradition lernt, dass man seine Tänzer mit ideal passenden Rollen beschenkt: Während Pablo Octávio, der verlorene Zwillingsbruder Sebastian, als romantischer Traumprinz in den zweiten Akt platzt, der Olivia in Sekunden von den Füßen reißt, widmet die Choreografin der heimlichen Zuneigung seines Freundes Antonio zu dem Geretteten ein trauriges Solo, bei dem die Welt zu Eis wird – Louiz Rodrigues bewegt sich dabei fast nur am Boden. Die zarte, mädchenhafte Francesca Berruto bezaubert als verkleideter Jüngling, ihre Viola bleibt äußerlich stark und standhaft, während die heimliche Liebe zu Orsino sie innerlich aushöhlt. Als dieser Herzog ist der herbe, stolze Ledian Soto bei aller rauen Männlichkeit offensichtlich ein Skeptiker, dessen Geschichte mit einem nachdenklichen, leis-romantischen Kennenlernen der enttarnten Viola endet. Vielleicht ist diese Menschlichkeit, die Liebe der Choreografin zu ihren Figuren, am Ende doch wichtiger als originelle choreografische Erfindungen.

Angela Reinhardt