Foto Costin Radu
Kritiken

„La Bayadère”

Die Kunst der Annäherung in Verehrung und Ehrfurcht vor dem Fremden: „La Bayadère / Die Tempeltänzerin“ wieder beim Semperoper Ballett in Dresden

 

Vor 17 Jahren übernahm Aaron S. Watkin die Position des Ballettdirektors in Dresden. Vor 15 Jahren wagte er es, mit dem Ballett „La Bayadère – Die Tempeltänzerin“ von Ludwig Minkus, diesen höchst anspruchsvollen Klassiker erstmals in Dresden zur Aufführung zu bringen. Damit reihte das Dresdner Ballett in die gar nicht so große Gruppe bedeutender Kompanien, die es wagen können, diesem Werk gerecht zu werden.

Aaron S. Watkin wagte und gewann, mit ihm, die Kompanie, aus deren Reihen alle der so anspruchsvollen Partien besetzt werden konnten.  Es ist ein Gewinn für das Dresdner Publikum, ungebrochen, wie jüngst die wie eine Premiere begeistert gefeierte Wiederaufnahme im ausverkauften Opernhaus beweist.
Es sind ja nicht nur die tänzerischen Ansprüche, die diesem Werk eigen sind, es ist ja auch die besondere Stilistik dieser getanzten, aber immer wieder auch gemimten Dreiecksgeschichte um den edlen Krieger Solor, seine Verlobte Gamsatti und die Tempeltänzerin Nikija, aus der Blütezeit des russischen Balletts, das in den Farben einer indischen Nachthimmel-Fantasie unter Palmen im exotischen Zauber der klassischen Gassenbühne spielt, zu inszenieren.

In seiner choreografischen Inszenierung, in der man auf die genialen originalen Meisterstücke von Marius Petipa, die er für die Uraufführung, 1877 in St. Petersburg, geschaffen hatte, nicht verzichten muss, entschied sich Watkin für eine zweiaktige Fassung. Er strafft die Handlung, nimmt aber so gut wie alle Motive der inzwischen nicht mehr üblichen fünfaktigen Fassung auf und schafft es, das Traumbild im Schattenreich, mit dem Nurejew seine Version enden ließ, als wesentliche Sequenz in den Handlungsverlauf einzubinden. Er schafft es sogar, die Tradition jener weißen Wesen einzubinden, deren Erscheinung nicht für jeden wahrnehmbar ist, indem er in der Hochzeitszeremonie als konsequentes Zitat der 45 Jahre älteren Pariser „Sylphidentradition“ Filippo Taglionis, die Bayadère als weißes Wesen durch Raum und Zeit schweben lässt. Damit führt er den Krieger in den tödlichen Konflikt. In dem Moment, da er erkennt, dass mindestens zwei, wenn nicht gar drei, Wesen in seiner Brust wohnen – Watkin stellt einen Freund an seine Seite – wanken Grundfesten bis dahin streng gehüteter Ordnungen. Weil in diesem Tanz der schönen Menschen letztlich doch weit mehr zusammenbricht als ihr Leben, stürzt am Ende folgerichtig auch der Tempel als Symbol ewiger Ordnungen ein. Arne Walter hat opulente Bilder und Landschaften geschaffen, in denen das Auge spazieren gehen kann, die zudem rasche Wechsel möglich machen, deren Prospekte in Bert Dalhuysens Licht von großer Wirkung sind, in die sich die farbintensiven Kostüme von Erik Västhed geschmackvoll fügen.

Zum Teil mit erstaunlichen Rollendebüts wird diese Wiederaufnahme den hohen Ansprüchen gerecht. Ja klar, es geht um die tänzerische Technik, aber diese erlangt ihren Glanz – mitunter von berührender Intensität – ja nur dann, wenn es gelingt, der persönlichen Individualität Raum zu geben. Das gelingt: Da ist die wunderbare Sangeun Lee als Tempeltänzerin Nikija. Gereth Haw gibt als edler Krieger Solor, dessen Verrat ihr gegenüber ja gar nicht so edel ist, sein grandioses Debüt. Beiden gelingt vor allem in so unterschiedlichen Situationen immer höchst emotionale Steigerung, vor allem im Grand Pas de Deux, „Schattenreich der Träume“ – jener genialen Traumszene, der sich Solor im Opiumrausch nach Nikijas Tod auf der Verlobungsfeier mit der für ihn in familiären und politischem Kalkül bestimmten Gamsatti hingibt. Ebenfalls im Rollendebüt hier Anna Anna Nevzorova, die es vermag auch der Tragik ihrer Situation Gestalt zu geben.

Ebenfalls im Debüt ist Kristóf Kovács als Freund Solors und den Momenten seiner hilflosen Not, diesem Tanz sowohl verschuldeter als eben auch unverschuldeter Abgründe zu widerstehen. Jón Vallejo setzt mit seinem exotischen Solo als goldenes Idol  einen glanzvollen Höhepunkt. Es sind weitere Tänzerinnen und Tänzer in größeren und kleineren Partien, vor allem zu betonen, wie es gelingt ein jeweils überzeugendes in anspruchsvollen Momenten der Traditionen der Ballettpantomime zu finden, Zurückhaltung kann von großer Wirkung sein. Und natürlich die Divertissements der Tänzerinnen und Tänzer die ja im klassischen Ballett nicht fehlen dürfen, aber gerade hier mit den so sehnsuchtsvollen wie verehrenden Zitaten ferner Welten und Traditionen, vermitteln viel von der fantastischen Möglichkeit des Tanzes in der bewegenden Sprache bewegter Körper. Höchstes Glück im Opiumrausch!

Chiara Scarrone, Kanako Fujimoto, Melissa Hamilton, (unten) Ensemble). Fotos: Ian Whalen

Verbeugung vor den 24 Tänzerinnen die im berühmten Königreich der Schatten als ins Unendliche gesteigerte Widerspiegelung der geliebten, intrigant getöteten, Tempeltänzerin dem untreuen Solor in der Nacht vor der Hochzeit mit Gamsatti erscheinen. Mit dieser Choreografie, bei der die Tänzerinnen in einem weißen Bild bei gleichen Bewegungen auf einer Rampe serpentinenartig in höchster Konzentration, wie aus dem Nichts kommend, traumwandlerisch in den Raum hinunter schweben, beweist eine Kompanie ihr Können. Die Dresdner Tänzerinnen beweisen es mit ihrer Art dieses Traumtanzes von Altmeister Marius Petipa, diesem Juwel der Ballettgeschichte. Wie in der Lyrik  Worte, Silben, einzelne Laute zum Klang aus Assoziationen werden, so in diesem Tanzgedicht die Bewegungen in ihren Überlagerungen und Vervielfachungen zu einem Bild, das die Wahrnehmung verschwimmen lässt. Der Einbruch des Traumes in die Realität, die Außerkraftsetzung des Gewohnten, die Essenz des Tanzes in den Momenten der Ahnungen möglicher Grenzüberschreitungen.

Mit einem Dirigenten wie Tom Seligman am Pult der Staatskapelle gibt dieser Klang weit mehr als tänzerische Rhythmen her,  die Begleitung, Kraft und vor allem Poesie dieser Musik, jedenfalls bei einer solchen Aufführung, verschmelzen mit der Bewegung, mit dem Bild, eröffnen immer wieder Horizonte eigener Wahrnehmung. Und das ist alles andere als kulturelle Aneignung, im Gegenteil, es ist die Kunst der Annäherung, der Verehrung und der Ehrfurcht vor dem Fremden.

Boris Gruhl

Anmerkung: Es ist nicht nachvollziehbar, wenn bei einer Wiederaufnahme, noch dazu mit wichtigen Rollendebüts, keine Fotos erstellt werden. Das ist schade und vor allem den Tänzerinnen und Tänzern gegenüber nicht gerade freundlich. So wird um Verständnis gebeten, wenn hier lediglich Fotos mit Szenen des Ensembles, die bei früheren Aufführungen entstanden sind, veröffentlicht werden können.

 

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