Ein Kommentar unserer Redakteurin Ute Fischbach-Kirchgraber
Vielleicht musste erst das öffentliche Leben stillstehen wie nun durch die Corona-Pandemie, um sich wieder zu besinnen, was wirklich wichtig ist im Leben. Und im Innehalten sieht man erschreckt, dass viele „systemrelevante“ Berufe im Niedriglohn-Sektor ohne Achtung dahin dümpeln und dass Kultur, auf privates Sponsoring abgeschoben, nur als schmückendes Beiwerk gilt, nicht jedoch als elementar wichtig für den Menschen. Das ist etwas, das man sich „leistet“, aber nur dann ernst nimmt, wenn man damit Profit machen kann. So findet Tanz nur noch als Tanz ums goldene Kalb statt.
Dass Tanz seit mythischen Zeiten zum Menschsein gehört, will man nicht wahrhaben. Ebenso wenig welche Vielfalt Tanzen in unser Leben bringt, wie viele Facetten eine ungeheuer reiche Welt auffalten jenseits von Nationalitäten oder Kulturen. Jede Sparte hält sich für die beste und einzig auserkorene – umso mehr, wenn es mehrere Organisationen einer Spalte gibt. Statt sich über die vielen Möglichkeiten zu freuen, gibt es nur ein Ziel: den anderen die Existenzberechtigung abzusprechen. In der reichen Ballett-Szene sind Intendanten und Choreographen auch nicht immer freundlich zu einander, aber der einzelne Tänzer hat doch immerhin eine (begrenzte) Wahl, die Kompanie zu finden, in der er sich aufgehoben fühlt und seine besten Fähigkeiten entfalten kann.
In der Ballroom-Szene ist das leider nicht so. Da gibt es einen erklärten Krieg, was die Ausrichtung des Tanzens angeht, und die World DanceSport Federation verbietet ihren Mitgliedern gar, bis auf ein paar Ausnahmen bei Turnieren des World Dance Council zu tanzen. Die Sanktionen sind streng – viel strenger als für Dopingsünder.
Wir von Dance for You Magazine haben schon seit Jahren die Finger in genau diese Wunde gelegt und ständig problematisiert. Wir haben uns regelrecht die Finger wund geschrieben, um despotische Vorkommnisse öffentlich zu machen, denn es gibt im Tanzsport keine freie Presse. Die Blätter sind verbandseigen und entsprechend einseitig. Von Transparenz keine Spur.
Das rächt sich nun in den Zeiten von Corona: wenn es darum geht, Staatsgelder zu erhalten, werden die großen Interessengruppen vorrangig betrachtet. Tanz gehört da eher nicht dazu, weil die Dimension der Tanzszene überhaupt nicht erfasst wird. Vielleicht wäre das nun der geeignete Zeitpunkt, von egoistischen Machtansprüchen abzurücken und den Fokus zu legen auf die Sache selbst: auf den Tanz und auf seine Daseinsberechtigung in seiner ganzen Vielfalt. Vereint können alle Tanzverbände und -Organisationen diese Pandemie besser überstehen. Vereint könnten viel leichter Hygiene-Konzepte erarbeitet werden, die eine vorsichtige Öffnung von Tanzstätten wieder möglich macht. Das müsste dann nicht jeder für sich alleine tun, und dann wären auch einheitliche Genehmigungsverfahren schneller durchführbar.
Denn dass Corona für viele in der Tanzszene nicht nur Existenz-bedrohend, sondern auch -vernichtend sein wird ohne rasche Hilfe, steht außer Frage. Solidarität ist das Gebot der Stunde. Nur wenn alle mitmachen und dann auch für die Politik nachvollziehbare Gesamt-Zahlen auf den Tisch legen können, zeigt sich, wie „systemrelevant“ Tanzen für unsere Gesellschaft ist.
Auch wenn es inzwischen wieder einige Gespräche zwischen den Weltverbänden gibt, ist das Ergebnis nach wie vor nicht ermutigend. Denn anders als in der Ballett-Szene, wo es problemlos verschiedene Strömungen und Richtungen nebeneinander gibt, wird zumindest von einer Seite ein Alleinvertretungsanspruch erhoben, der alles andere als falsch erklärt – statt dass man sich über eine Vielfalt von Möglichkeiten, Tanzen auszuüben, freut. Vor allem die Tänzer leiden unter diesem Zustand, sie werden gemaßregelt und in ein Konzept gepresst. Wir halten das für falsch. Denn wie soll sich eine Tanz-Szene frei und kreativ entwickeln, wenn Freiheit und ein Ausprobieren bestraft werden. Das erschwert es auch, Interviews zu führen, denn Tänzer haben – zurecht! – Angst, sich frei zu äußern. Da ist viel Fingerspitzengefühl nötig, ein diplomatischer Eiertanz um das Thema Politik.
Zum Kern des desolaten Zustands der Ballroom-Szene lesen Sie dazu folgende Artikel, die Sie in den folgenden Ausgaben finden:
Ausgabe 45 (November/Dezember 11): Keine Harmonie im Turniertanz – Die Welttanzsportverbände im Clinch (S.33 ff)
Ausgabe 47 (März/April 2012): Freedom to dance – Wie lange wollen sich Tänzer diese Verbände noch gefallen lassen? (S.19 ff)
Ausgabe 48 (Mai/Juni 12): Mehr Spaß statt Funktionärsmentalität – Gespräch mit Rudi Trautz zur Situation im Tanzsport (S. 16 ff)