„TanzArt ostwest“ Festival zelebrierte in gleich vier Städten in Deutschland das Format der Tanzgala: In Halberstadt, Quedlinburg, Bernrode und Koblenz. Hinzu kam eine fünfte Variante im ostbelgischen Eupen dazu. Besonders die Ausgaben in den Harz-Städten und in Eupen spiegelten den besonderen Ansatz, Tanzkunst aus Ländern zu zeigen, die unter der programmatischen Brücke „ostwest“ funktionieren. Werke sowohl aus Südchina als auch aus Japan trafen so auf Choreografien aus Belgien, Deutschland, Slowenien und Italien. Das Publikum erspürte in der Vielfalt zeitgenössischer Choreografie eine Vielfalt von Kulturen, Mentalitäten und Geschichten. Einen fast intimen Auftakt gestalteten in Quedlinburg Anri Hirota und Ginjo Sakai von der Japan Contemporary Dance Company. Ganz allein tauchte die Tänzerin auf der Bühne auf, in ärmellosem Shirt und weißer Jogginghose, und malte nur wenige Bewegungen in die Luft: eine Hand in den Nacken. Weite Armkreise. Eine Bodenrolle. Es sind Bewegungen, die von der psychischen Anwesenheit eines anderen erzählen. Davon, dass er schon längst im Körper ihrer Figur ist. Davon, wie durchlässig sie ist. Als sie zu zweit auf der Bühne waren, erzählte dieses kleine, aber beeindruckende Duett mit wenigen, prägnanten synchronen Bewegungen und klaren Gesten von einer toxischen Beziehung. Zu befreien vermochte sich die Frau nicht. Wieder legte er ihr am Schluss die Hand in den Nacken.
Ebenso großartig das Duett „Le Regarde que je garde pour moi“ von Irene Kalbusch von der Cie. Irene K in Eupen. Auch Ilke Teerlinck betrat alleine die Bühne, im blaugeblümten Mädchenkleid und Ledertanzschuhen, die Haare offen. Seitlich hatte Shana Mpunga mit seinen Trommeln Platz genommen. Die folgenden Szenen waren so gestaltet dass man, angetrieben von den Schlägen von Mpungas Hand auf die Drums, hauptsächlich Teerlincks Füßen in den Schuhen folgte. Sie wirkte authentisch und zugleich puppenhaft. Assoziativ dockte man an jene signifikanten Frauenfiguren an, die in Märchen in Schuhen tanzten oder tanzen mussten, auch wenn dieses Stück hier eine andere Geschichte erzählt: eine vitale, sonnendurchflutete Liebesbeziehung. Denn als Gold Mayanga in lockerem Hemd, Hose und barfuß auftauchte, sieht er sie und tanzt mit ihr.
Fotos: © Rolf K. Wegst

Mayanga hebt Teerlinck, trägt sie, wirft sie. Leicht wie das Schlagen von Schmetterlingsflügeln zeigen sich die verschiedenen Phasen einer starken Liebe. Berührt und atemlos verfolgte man, wie die Frische der gefundenen Hebungen und Bewegungen und deren klare Orchestrierung in Gesten, Blicke, Nähe, Moves und Flows das Duett tragen. Chen Yufei von der Shenzen Arts Company in Südchina entführte anschließend in eine andere Welt. Groß, schmal und athletisch bewegt sie sich zu hämmernden Beats wie ein Insekt am Boden. Markant: Man sieht ihr Gesicht nicht. Stattdessen blickt man auf einen knallroten Kreis mit einer runden Erhebung. Auf ihrem Körper entdeckt man rote Streifen. Was zunächst geheimnisvoll wirkt, führt am Ende zu einem Gefühl von Betroffenheit. Das eigentümliche Solo führt, aus europäischer Perspektive, das Schwinden von Individualität vor. Eine ähnliche atheltische Spannung kennzeichnete auch „Thematisch in dieselbe Kerbe schlägt die dramaturgisch intelligent gearbeitete Kreation „Sine Tactu“ der Compagnia Atacama aus Rom. Drei Frauen und ein Mann in weißen wehenden Röcken drehen sich lächelnd wie die Derwische des 21. Jahrhunderts im Kreis, nur führt ihr Weg nicht in die Transzendenz, sondern in die digitale Selbstbespiegelung. Denn irgendwann zückt einer von ihnen, Nicholas Baffoni, das Handy und filmt. Auch die andere Tänzerin filmt sich. Statt Tanz zu sehen, schaut man zu, wie sie sich selbst betrachten. Zum Schluss des Stückes, das immer wieder in seine kreisende Gruppenbewegung zurückfindet, bleibt einer alleine zurück und schaut erwartungsvoll ins Publikum: ein Teufelskreis.


Auf pure Trommelschläge setzt das slowenische Ensemble Alma Mater Europea seine Kreation „Colores mecum port“. Inspiriert von Werken des Malers Joze Kotar zündeten die drei Tänzerinnen eine unverständliche, wenn auch kraftvolle Kreation, die vor allem archaisch wirkte. Nur die Choreografie von Laura Corradi „Vita, Morte e Mracoli“ über Bilder und Visionen von Pier Paolo Pasolini fiel im wegen zu Schwülstigkeit und mangeldner Stringenz in der Choreografie ab. Neoklassischen Stil bot Steffen Fuchs in dem Duett „Skin“, das dann doch, ohne den Kontext des ganzen Stückes, dem es entnommen wurde, „The sad Park“ etwas aus der Zeit gefallen wirkte. Ebenso ambivalent wirkte die zeitgenössisch-ironische Interpretation des Pas de deux zwischen Odile und Prinz Siegfried in „Schwanensee“ vom Ballett Plauen-Zwickau. So präzise vor allem Miyu Fukawa tanzte, verstand man nicht, warum sie in einem altmodisch wirkenden Gouvernanten-Kostüm tanzte. Im Gegenzug dazu begeisterte wieder Tarek Assam mit Ausschnitten aus „Winterreise“ und einem Männderduett aus seiner „Bergpredigt“-Choreografie „Oratio in Danza“: Überraschenden Wendungen und unverbrauchten Bewegungen kennzeichnen seinen Stil. Den Vogel schossen schließlich die zwölf Tänzerinnen und Tänzer der Zürcher Hochschule der Künste ab. Sie tanzten in halber Besetzung Nadav Zelner verrückt wirkendes Stück „Sunscreen“, kreiert 2022. Alle gekleidet in gelbe Tops und Unterhosen und meistens synchron tanzend fuhren sie in irrem Tempo mit einer Choreografie auf, die weder die Zehen, noch die Finger noch die Mimiken verschonte. Überkandidelt, Jung, frech und überkandidelt, voller Zitate auf synchron orchestrierte gesellschaftliche Gruppenbilder wogte das Stück feixend und wie kichernd über die Bühne – „fast dance“ statt „fast food“. Zum Schluss standen sie dicht und wild strahlend beieinander – in klirrendem Gelb.
Alexandra Karabelas