Constanza Macras ediert den Band zur Show
Sie hat einen erstaunlichen Weg genommen. Als Constanza Macras Mitte der 1990er nach Berlin kam, tanzte sie zuerst bei verschiedenen Gruppen, etwa bei Sasha Waltz, ehe sie 1997 ihre eigene Gruppe gründete: Tamagotchi Y2K. Aus ihr wurde bald Dorky Park, im Wortspiel auch mit dem berühmten Mokauer Gorki-Park. Mehr als 30 Stücke hat die gebürtige Argentinierin seither vorgestellt und viele von ihnen inzwischen zu veritablen Exportschlagern gemacht. Es gehe ihr in den Produktionen darum, die Welt zu verstehen, äußert sie in einem Gespräch. Fünf festangestellte internationale Performer*innen als harter Kern der Kompanie, erweitert bei Bedarf um Gäste, stehen ihr dafür zu Gebote. Macras’ Markenzeichen sind laute, grelle, skurrile Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Zu- und Missständen. Stilfragen interessieren sie nicht, sie collagiert und mixt, was ihr geeignet scheint, stößt damit gelegentlich auch auf Befremden, hat jedoch mittlerweile eine treue, eher wachsende Fangemeinde und kann ebenso auf mehrere Auszeichnungen verweisen.
Nun erobert sie sich auch den Buchmarkt. „Der Palast“ heißt ihr vom Alexander Verlag Berlin edierter Bildband. Er fußt auf dem gleichnamigen Stück von 2019, uraufgeführt in der Volksbühne Berlin, wo Dorky Park sein Domizil gefunden hat. „Der Palast“ verhandelt drei Stunden lang und in zwei Teilen das eklatante Problem der Gentrifizierung und Verdrängung angestammter Mieter aus ihren Kiezen. Mit wachem Blick und überbordender Fantasie hat Constanza Macras eine Art Comicstrip auf dem Theater entworfen, in dem puppenhaft agierenden Mietern per Post ihre Kündigungen seitens des Investors zugestellt werden. Protest formiert sich mit Schildern, es wird erschossen, wiederbelebt, abgestürzt, rüde entrümpelt – Szenen eben aus dem bedrohten Mieter-Milieu. Grotesk, lächerlich, nervig auch ist diese Revue der Verdrängung, aber trotz aller theatergemäßen Überspitzung spürbar ambitioniert, weil sie auf durchaus amüsante Weise Vertreibungspraktiken entlarvt.
Teil zwei läuft als krude Castingshow, mit einem aufpeitschenden Moderator, konkurrierenden Teilnehmern und punktenden Juroren: eine schrille Satire zwischen Fiktion und Realität. Auf den Hintergrundvorhang werden immer wieder überdimensionale Fotos projiziert. Sie zeigen Menschen aus den von Verdrängung betroffenen Berliner Bezirken, hineinkomponiert in Stadt- und Parklandschaften oder in Räumlichkeiten der Volksbühne. Der englische Fotograf Tom Hunter hat hierzu Motive und Konstellationen aus altmeisterlichen Werken aufgegriffen, die in der Gemäldegalerie hängen: Hans Baldung Grien, Botticelli, Caravaggio, Tizian.
Im Bildband „Der Palast“ treffen sie aufeinander, die nachempfundenen Fotos, Berichte von Verdrängung Betroffener, teils doppelseitige Szenenaufnahmen der bissigen Macras-Show. Über allen Unterhaltungswert hinaus demonstriert das Buch, wie sich soziales Engagement auf der Theaterbühne niederschlagen kann, und ist damit ein gewichtiges Dokument über die Laufzeit der Produktion hinaus.
Volkmar Draeger
Constanza Macras, Tom Hunter, Thomas Aurin: „Der Palast“, Alexander Verlag Berlin, 2023, 56 S., 28 Abb., Englisch, 20 €, ISBN 978-3-89581-596-6