DRAW A LINE – RICHARD SIEGAL AND THE BALLET OF DIFFERENCE
(Regie: Benedict Mirow / Deutschland, Nigeria 2019 / 85 Min.)
Vom Überschreiten der Linie
Choreografie als Prozess einer Aneignung. Wer Teil von Richard Siegals „Ballet of Difference“ (BoD) sein will, muss – neben tanztechnischem Können, das stets an den Grenzen des bereits Bekannten kratzt – auch seine Individualität in die Produktionen mit einbringen. Oder willens sein, interdisziplinär aufzutreten. Wie in Siegals jüngstem, arg verballastigem Performance-Crossover-Spektakel „Roughhouse“ für vier BoD-Tänzer und fünf Kölner Schauspieler.
Immer wieder versucht der umtriebige, multimedial und sozialkritisch interessierte Amerikaner mit seinen Stücken in neue Dimensionen vorzupreschen. 2017 stellte er im Rahmen der Biennale DANCE für zeitgenössischen Tanz erstmals sein aktuell in München und an den Städtischen Bühnen Köln beheimatetes Ensemble vor. Für den Film „Draw a line – Richard Siegal and the Ballet of Difference“ begleitete der bayerische Regisseur Benedict Mirow (ehemals Student am Max-Reinhardt-Seminar in Wien für Theaterregie) den Choreografen und seine außergewöhnlich heterogene Truppe durch Höhen und Tiefen verschiedener Probenphasen. Selbstzweifel oder Verletzungen – schnell kann es passieren, dass eine Premiere im kreativen Endspurt noch zu scheitern droht.
Das bringt die Doku mit ihren zahlreichen Interviewpassagen gut auf den Punkt. Auch wird einem der Blick dafür geöffnet, warum die junge Margarida Neto (Absolventin der Münchner Ballett-Akademie) sich ebenso gern für Siegals Ideen verausgabt wie ihre älteren Kollegen nach zumeist intensiven vorherigen Kompanie-Erfahrungen. Eins zu werden – beispielsweise in einer ballettsynchronen Linie – steht hier eben gerade nicht an oberster Stelle.
Am Ende bleibt allerdings der Eindruck haften, das BoD definiere sich vor allem über ein einziges Stück: „Unitxt“ – 2013 uraufgeführt vom Bayerischen Staatsballett. Den Anfang dazu hatte Siegal im nigerianischen Lagos entwickelt. Dort schließt Mirow auch den Kreis, wenn sich nach dem Fokus auf die Neueinstudierung durch das BoD erneut afrikanische Tänzer über das – nunmehr hochgradig ballettexzentrische – Bewegungsmaterial hermachen. An diesem Punkt mit dem Kompanie-Porträt anzusetzen – das wär’s gewesen!
Vesna Mlakar
„Draw a Line – Richard Siegal and the Ballet of Difference“