Ist Heimatlosigkeit eine Grundbedingung des Tänzerlebens?
Aus dem letzten Jahrhundert gibt es tolle Bilder vom Tänzerleben: Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew auf glanzvollen Gastspielen in den Opernhäusern der Welt, Marcia Haydée im Pelzmantel auf dem Roten Platz in Moskau, die Ballets Russes auf dem Schiff nach Australien. Heutzutage füllen, wenn nicht grade Pandemie ist, die Tänzer ihre Instagram-Accounts mit Bildern vom World Ballet Festival in Japan oder vom prachtvollen Opernhaus in Muscat. Für die großen Stars scheint das Ballett ein Jetset-Leben zu sein, für andere Tänzer sind die vielen Ortswechsel eine Qual, wenn sie von einem Theater zum nächsten ziehen, keine echte Heimat haben. Es gibt diejenigen, die gerne aus dem Koffer leben, weil sie lieber in Projekten arbeiten als in einem festen Angestelltenverhältnis und weil sie so unterschiedliche Stile kennen lernen, verschiedene Länder und Menschen. Und es gibt die, die Familie haben und vielleicht irgendwann schulpflichtige Kinder, die Freundschaften mit Nachbarn eingehen und nicht nur mit ihren Arbeitskollegen, obwohl sie einmal fremd waren an diesem Ort und die Sprache nicht ihre Muttersprache ist. Für die vernichtet eine Kündigung ihre Lebensgrundlage.
Wobei es gar nicht Kündigung heißt, sondern „Nichtverlängerung“. Tänzer haben es, im internationalen Vergleich gesehen, eigentlich ganz gut in Deutschland: Ihre Verträge sind mit Krankenversicherung und Sozialversicherung ausgestattet, sehen freie Tage und Vergütungen vor. Aber sie stehen ständig unter dem Damoklesschwert der Nichtverlängerung, denn der berühmt-berüchtigte „NV Bühne“, wie der Normalvertrag für Bühnenkünstler abgekürzt heißt, wird immer nur für eine Spielzeit abgeschlossen und verlängert sich automatisch, wenn keine der beiden Seiten bis Ende Oktober gekündigt hat.

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