Denis Vieira in ´Giselle´ © Gregory Batardon
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Denis Vieira passed away at only 31

Denis Vieira passed away on December 29, 2022 in Nicosia, Cyprus. He was the victim of a tragic accident at home. He was 31 years old. Born on December 12, 1991 in Joinville, Brazil, Denis began his career early: first as a graduate of the world-renowned Bolshoi Ballet School in Joinville, then from 2010 to 2014 as a soloist at the Rio de Janeiro City Theater. In 2014 Denis moved to Europe, initially as first soloist at the Zurich Opera House, with further stations at the Berlin State Ballet and the Bavarian State Ballet in Munich. Performances and tours have taken him all over the world.

Foto Fernando Marcos

After the Corona period, Denis celebrated his comeback at the London Coliseum in November 2021 as part of the Ballet Icons Gala together with his long-time stage partner Ksenia Ovsyanick. Denis last lived and trained in Nicosia and Larnaca on Cyprus and worked on his first own ballet gala. The funeral took place on January 6, 2023 in Nicosia. Denis wish for a final celebration was one of full of color and joy. To remember his artistic work and name, the family plans to donate a Denis Vieira ballet scholarship for young dancers.

At the time he danced with Staatsballett Berlin, our Editor, Volkmar Draeger interviewed Denis in January 2017. The interview was published in our print issue No. 75/2017. As a special tribute to Denis, we would like to publish here this interview again.


 

Durch den Tanz auch als Mensch wachsen

Der Brasilianer Denis Vieira ist neuer Solist im Staatsballett Berlin

Noch ganz neu ist er als Solist im Staatsballett Berlin, abgesehen von Gastvorstellungen vergangene Saison. Da war er auch schon der Albrecht in „Giselle“. Nun tanzt er den jungen Herzog mit der ebenfalls gerade engagierten Ksenia Ovsyanick als Bauernmädchen, das aus Liebesgram zur Untoten wird. Berlin hat damit ein weiteres Traumpaar. Wie frisch Denis Vieira seinen Albrecht im ersten Akt anlegt, wie betroffen er reagiert, als er sein Fehlverhalten erkennt, berührt. Im zweiten Akt ist er ganz Leidender, der seine verlorene Geliebte mit unendlicher Sanftmut führt, hebt, fliegen lässt, absetzt. Dass er auch als Prinz im „Nussknacker“ und in „Dornröschen“ elegant bis in die Fingerspitzen und technisch souverän tanzt, versteht sich. Über seinen bisherigen Weg und seine zukünftigen Wünsche erzählt er im Interview mit Volkmar Draeger.

Sie sind aus dem malerischen Zürich ins weltstädtische Berlin gewechselt. Was hat Sie dazu bewogen?

 

In Zürich war ich die zweieinhalb Jahre über seit 2014 richtig gut eingesetzt: Schläpfers „Forellenquintett“, Kyliáns „Wings of Wax“, McGregors „Kairos“, Spucks „Sonett“. Unser Ballettchef Christian Spuck vertraute mir auch Tybalt und Romeo an, Wronsky in „Anna Karenina“, Leonce in „Leonce und Lena“ und in Patrice Barts „Giselle“ den Albrecht. Die Freunde des Zürcher Balletts verliehen mir sogar den Tanzpreis 2015. Das war nach meiner letzten Vorstellung. Da hatte ich schon den Vertrag für Berlin unterzeichnet. Berlin mit seinen vielen Menschen, dem Flair und der ständigen Bewegung erinnert mich an brasilianische Großstädte wie São Paulo. In Zürich habe ich mich wohlgefühlt, vielleicht ein bisschen zu wohl. Ich wollte eine andere Stadt kennenlernen, suchte eine neue Herausforderung, damit ich nicht bequem werde. Außerdem empfinde ich die Berliner als angenehm offen und weniger distanziert.

Lassen Sie uns zu Ihren Anfängen zurückkehren…

Ich stamme aus der Industrie- und Handelsstadt Joinville mit einer halben Million Einwohner, gelegen an Brasiliens Ostküste, und bin in unserer Familie der erste, der tanzt. Schon mit 7 oder 8 war mir klar, dass ich Tänzer werden möchte. Meine Eltern unterstützten das. So studierte ich von 8 bis 16 an der Bolshoi Theatre School meiner Heimatstadt, die der Moskauer Tänzerstar Alexander Bogatyrev 2000 gegründet hatte, um die Vaganova-Methode zu verbreiten. Eine große Schule ist das mit vielen Sälen, wo wir von Ballett über Charaktertanz, Historischen Tanz bis Contemporary und Musik alles lernten, was ein Tänzer braucht, großenteils bei russischen Lehrern. Anschließend tanzte ich zwei Spielzeiten in der Company der Schule, wo etwa Vladimir Vasiliev „Don Quixote“ und „Nussknacker“ einstudierte. Dadurch verstehe ich ein bisschen Russisch, habe mich gegenüber unseren russischen Kollegen bisher aber nicht geoutet.

Denis Vieira © Carlos Quezada

Wie ist die Situation für Tanz in Brasilien?

Eher traurig. Wir haben derzeit eine starke ökonomische Krise, die auch die professionellen Companies trifft: Wer keine Sponsoren findet, muss Personal und Repertoire reduzieren. So werden Neuproduktionen abgesagt, auch bei den großen Ensembles in São Paulo und Rio de Janeiro. Ballett ist bei uns längst nicht so populär wie Fußball oder Samba, in die immer sehr viel Geld fließt. Das ist einer der Gründe, weswegen ich nach Europa wollte, obwohl ich schon als Partner unserer Starballerinen Ana Botafogo und Cecilia Kerche tanzen durfte. Europa ist nach wie vor der beste Platz für Ballett.

Wo haben Sie in Brasilien getanzt?

Ich war viereinhalb Jahre am Theatro Municipal in Rio de Janeiro, tanzte dort Onegin und Lenski in Crankos „Onegin“ und auch seinen Romeo, war Albrecht in Peter Wrights „Giselle“, Siegfried in Yelena Pankovas „Schwanensee“, Adam in „Die Schöpfung“ von Uwe Scholz, war Partner von Cecilia Kerche in Alberto Alonsos „Carmen“. Trotzdem bin ich im rechten Moment gegangen, als die Lage begann, kompliziert zu werden.

Was bewog Sie, nach Zürich zu ziehen?

Zunächst gastierte ich noch in Rio, auch in Miami und Südamerika. Als in Zürich die Direktion wechselte, suchte Spuck neue Tänzer und bot mir einen guten Vertrag. Während wir in Brasilien auf Petipa fixiert waren, lernte in nun Kylián, McGregor, Spuck tanzen, eine wunderbare Erfahrung. War in Rio „Schwanensee“ meine letzte Inszenierung, so verabschiedete ich mich aus Zürich übrigens ebenfalls mit diesem Ballett: diesmal von Alexei Ratmansky.

Sprechen wir über Ihren Albrecht: Welcher Charakter ist er für Sie?

Albrecht weiß noch nicht, was Liebe ist, ist noch ziemlich unreif. Er flirtet lediglich mit Giselle, einem hübschen Bauernmädchen, das ihn reizt, hält vertraulich ihre Hand, weiß aber durchaus schon, was er da tut. Liebe ist für ihn ein unbekanntes Gefühl. Er glaubt deshalb nicht, dass sie an seinem Verhalten sterben könnte. Als das aber eintrifft, stirbt auch ein Teil von ihm. Da erst wird er sich seiner Liebe bewusst, empfindet Schmerz. Das alles habe ich mit Choreograf Patrice Bart erarbeiten können, er führte mich behutsam in die Figur ein und ließ mir dennoch gestalterische Freiheit. In Zürich tanzte ich dann seine Premiere, und auch beim Staatsballett bin ich jetzt einer der Albrechts in derselben Inszenierung.

Denis Vieira und Viktorina Kapitonova in ´Giselle´ © Gregory Batardon

Was ist der Unterschied zur Inszenierung von Peter Wright?

Der Interpret mit seiner Persönlichkeit macht den Unterschied aus, weniger die Choreografie.

Was kennzeichnet eine gute Partnerschaft auf der Bühne?

Die innere Verbindung des Paares, der stete Körper- und Blickkontakt im Spiel. Mit Ksenia tanze ich „Giselle“ und nun auch „Nussknacker“ und „Dornröschen“. Sie ist perfekt und erfrischend, wir arbeiten ständig an unserem Miteinander.

Ist es nützlich, beides zu tanzen, klassisch und modern?

Ich liebe es, meinen Körper herauszufordern, obwohl das Bewegungsmaterial von Christian Spuck anfangs schwierig für mich war. Zuvor war ich meist der Prinz, in den Stücken von Spuck geht es mehr um menschliche Probleme. Die Modern-Ausbildung in unserer Schule half mir dabei.

Werden Sie in Berlin auch den Siegfried im sehr erfolgreichen „Schwanensee“ von Patrice Bart tanzen?

Das weiß ich noch nicht, es wäre dann meine dritte Version! Wenn es um Traumrollen geht, dann möchte ich den Des Grieux in  MacMillans „Manon“ nennen, das ist eine so leidenschaftliche Figur. Vorerst werde ich in Benjamin Millepieds „Daphnis und Chloé“ zu sehen sein.

Ist der Tanz Ihr Beruf oder Ihr Leben?

Das ist ein beliebtes Klischee, das auf mich jedoch nicht zutrifft. Ich liebe meine Arbeit, sie ist Teil von mir, und niemand kann sie mir nehmen. Aber es gibt da eine Grenze, denn man hat auch noch ein Privatleben, ist schließlich nicht der Sklave des Tanzes. Tanz gehört zu meinem Leben, ebenso wie die Familie und Freunde. Man muss sich auch geistig und körperlich erfrischen. Das kann ich zum Beispiel im Gym, witzigerweise beim Saubermachen oder in der Küchenatmosphäre beim Kochen – ich bin, glaube ich, inzwischen ein ganz guter Koch. Außerdem lese und reise ich sehr gern, mag interessante Filme. Was nicht heißt, dass ich nicht tanzen möchte, solange es irgend geht. Den Pädagogik-Abschluss habe ich als Bestandteil meiner Ausbildung jedenfalls schon in der Tasche. Aber erst einmal möchte ich meinen Weg als Tänzer weitergehen und daran auch als Mensch wachsen.