Feel-Good-Movie mit Hofesh Shechter und Marion Barbeauovie
Die 26-jährige Èlise in Cédric Klapischs neuem Film „Das Leben ein Tanz“ hat alles, was zur erfolgreichen Karriere einer klassischen Ballerina gehört. Zudem ist sie beliebt und mit einem Tänzerkollegen liiert. Seit Kindesbeinen steht das Tanzen bei ihr an oberster Stelle. Ihr Vater aber (brillant empathielos: Comédie-Française-Schauspieler Denis Podalydès), der früh seine drei Töchter allein erziehen musste und für den nur die Literatur zur Kunst zählt, kann die Wahl, sich mit Haut und Haaren einem dermaßen vom Körper bestimmten Beruf zu verschreiben, kaum gutheißen.
„En corps“ lautet der viel griffigere Originaltitel des Zweistünders, der mit vereinnahmender Leichtigkeit den Spagat zwischen Tragödie (absehbar) und Komödie (keineswegs platt) meistert. Dabei verfügt er teilweise über eine fast schon dokumentarfilmhafte Anmutung wie Wertigkeit – so treffend authentisch-ehrlich wird mit den Inhalten umgegangen. Angefangen bei einer langen, nur musikalisch unterlegten Einleitungssequenz, die den Zuschauer mit auf die Bühne und hinter die Kulissen einer klassischen Ballettchoreografie nimmt.
Eine solch starke Fokussierung auf Tanz als wichtigstem Lebensinhalt hätte klischeehaft schief gehen können, tut es aber nicht. Garant hierfür sind neben all den anderen überzeugenden Mitwirkenden zwei, die aus eigener professioneller Erfahrung ganz genau wissen, worum es hier geht. Marion Barbeau, die untypisch schöne, ausdrucksvolle, stilistisch flexible 31-jährige Erste Solistin der Pariser Opéra ist in ihrer ersten großen Schauspielrolle zu erleben. Und kraft ihrer natürlichen Ausstrahlung macht sie Klapischs Protagonistin Èlise zu einer jungen Frau, deren immer wieder bloß episodenhaft angerissener Geschichte man gerne folgt.
Das Filmpublikum lernt Èlise als Primaballerina einer am Pariser Théâtre du Châtelet angesiedelten klassischen Kompanie kennen. Sie tanzt die Titelrolle im Ballett „La Bajadere“. Doch aus Beziehungsgründen innerlich aufgewühlt, schrottet sie bei der Landung nach einem Sprung ihren rechten Fußknöchel. Heilungschancen ungewiss. Was nun karrieretechnisch fällig ist, wird schon seit einigen Jahren „Transition“ genannt, die Übergangsphase vom hart erarbeiteten und lang ersehnten Traumjob hin zu etwas Neuem.
Der für jeden Tänzer wichtige Start in ein zweites Leben steht im Zentrum der Handlung. Èlise muss die katastrophale ärztliche Prognose, womöglich niemals auf die Bühne zurückkehren zu können, erst verarbeiten. Für sie bedeutet das einen Selbstfindungsprozess. Ihr Physiotherapeut (grandios im seinem eigenen Unglück: François Civil) baut sie auf, rät zu kämpfen, gibt ihr Hoffnung – und verliebt sich in sie. Nur traut er sich nicht, es ihr zu sagen.
In ihrem Drang, sich umorientieren zu wollen, begleitet Èlise ihre Schwester (sympathisches Kaliber: Souheila Yacoub) und deren Partner (Koch mit Hingabe und Elan: Pio Marmaï) als Küchengehilfin zu einem Kreativzentrum in der Bretagne. Glück im Unglück – denn die sich herrschaftlich gebende, am Stock humpelnde Leiterin (Muriel Robin) bietet Künstlern außer Verpflegung und Unterkunft auch Raum zum Proben. Als zwischen Kammermusikern und einem Chor ein modernes Tanzensemble eintrudelt, beginnt Èlise langsam, ihre Zukunftsangst zu überwinden und wieder in Kontakt mit anderen Tänzern zu treten. Diese erarbeiten gemeinsam mit dem renommierten israelischen Choreografen Hofesh Shechter ein neues Stück.
Shechter, der sich selbst spielt und außer den pfiffig geschnittenen und schwungvoll ins Geschehen integrierten modernen Choreografie-Passagen auch einen Teil der Musik zum Film komponiert hat, lädt Èlise ein, sich seiner Truppe anzuschließen. Sie durchläuft einen Prozess der Loslösung vom klassischen Ballett hin zum zeitgenössischen Tanz – frei von jeglichen Vorurteilen, über die Cédric Klapisch als Regisseur und Drehbuchautor in Personalunion seine Darsteller sogar noch diskutieren lässt. Schier unglaublich, dass das alles so aufschlussreich in einem Feel-Good-Movie ohne Abstriche in puncto Unterhaltung möglich ist. Kinostart in Deutschland ab 8. September.
Vesna Mlakar