Dass man versucht, einen künstlichen Menschen zu schaffen, gehört schon immer zu den Horror-Vorstellungen des Menschen. Im Falle der Coppélia allerdings, die ja ETA Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann” entsprungen ist, geht das Schrecknis auf dem Weg auf die Bühne verloren. In Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen” wird aus ihr naturgemäß ein singender Mechanismus und im Ballett eine Puppe, der Leben eingehaucht werden soll. Der nette Herr Coppélius versucht es mit einer dilettantischen Seelenübertragung. Doch statt Grusel setzt Grinsen ein. Die sich regenden Ersatz-Glieder in seinem Kabinett sind weniger furchterregend als eine Fahrt in der Geisterbahn. Und da soll die neugierige Swanhilda bei ihrem Einbruch wackelige Knie bekommen?
Zum Lachen. Das ist auch das Stichwort für die Ausgrabung von Roland Petits Fassung der Coppélia am Bayerischen Staatsballett. Roland Petit reduziert die Geschichte auf ein neckisches, sehr operettiges Divertimento, indem er die bekannten klassischen Tanz-Elemente auflockert mit kontrastierenden, „verruchten“ Bewegungsmustern, wie er sie für sein Frau Zizi Jeanmaire und das Showbusiness kreiert hat, etwa mit Po-Wacklern, kokettem Schulternhochziehen und Kussmündchen. So wird die erwünschte Leichtigkeit zur Seichtigkeit. Und wenn die gedrillten Soldaten ohnehin aussehen wie Puppen, die eifrig den Federbusch auf den Köpfen nicken lassen, wobei die Mädels im Einheits-Biedermeier-Look nicht minder puppenhaft wirken, dann bleibt nicht viel Spielraum für Individualität oder gar ernst zu nehmende Gefühle wie die Liebe. Das überlässt man hier fast ganz der Musik von Léo Delibes, die Anton Grishanin mit viel Sinn für Abstimmungen dirigiert.
Natürlich gibt es zwei Highlights in dieser „Coppélia“. Wenn Coppélius sich die Puppe, die er nach dem Vorbild von Swanhilda gebaut hat, auf die Füße stellt und mit ihr durch den Raum tanzt, entsteht melancholische Poesie, ahnt man etwas von der Verzweiflung des Einsamen. Wenn Swanhilda sich versteckt und die Rolle der Puppe einnimmt, die Coppélius nun zum Leben erweckt, entwickelt sich aus ungelenk puppenhaft schlenkernden Gliedern plötzlich elastische Beweglichkeit. Ein Bravour-Stück für jede Tänzerin. Schade, dass man solch „menschliches“ Tanzen nur punktuell ausmachen kann. Denn dagegen steht das ständig marionettenhaft agierende Personal.
Immerhin legt die Truppe im zweiten Akt energetisch zu. Das Hochzeitsfest von Franz, der untadelige Manegenbahnen zieht, und seiner Fouetté-sicheren Swanhilda füllt die Bühne derart, dass Coppélius, dem nun seine Puppe unter den Händen zerbröselt, fast nicht mehr sichtbar ist.
Lauretta Summerscales stattet ihre Swanhilda mit Charme und Temperament aus, und Jonah Acosta als Franz zeigt wieder einmal seine enorme Sprungkraft. Die Rolle des Herr Coppélius, die Roland Petit sich auf den eigenen Leib geschneidert hat, gehört nun seinem langjährigen Assistent Luigi Bonino. Und der zeigt in seiner pantomimischen Rolle was jenseits von tänzerischer Perfektion noch alles möglich wäre in diesem „Coppélia“-Stoff.
Ute Fischbach-Kirchgraber