von Evelyn KLÖTI
Cathy Marston bringt in Zürich mit „Clara“ das Schwesternstück zu „The Cellist“ auf die Bühne und setzt damit ihre Auseinandersetzung mit Frauen fort, die untrennbar mit ihrer Kunst, der Musik, verbunden sind. Nach der Cellistin Jaqueline du Pré (1945-1987) steht in Marstons neuem abendfüllenden Ballett die Pianistin Clara Schumann (1819-1896) im Fokus. Und mit ihr das Klavier mit seinen 88 Tasten in Weiss und Schwarz.
Foto: Sieben Claras auf die Bühne
Die Muse, Max Richter, Die Managerin, McKhayla Pettingill, Die Pflegerin, Inna Bilash, Die Mutter, Sujung Lim, Die Ehefrau, Nancy Osbaldeston, Die Künstlerin, Ruka Nakagawa, Das Wunderkind, Giorgia Giani
Eine Tänzerin reicht nicht, um die vielseitige Jahrhunderterscheinung Clara darzustellen, die zeitlebens berühmter war als ihr Mann Robert Schumann (1810-1856) und zudem auch viel mehr verdiente als er. Inspiriert von den 7 weissen Tasten für die Melodietöne einer Tonleiter auf dem Klavier, verkörpern 7 Tänzerinnen 7 Facetten, Rollen, Berufe. „Dieser Chor von Claras ist sozusagen die Tastatur, auf der ich als Choreografin spiele.“, sagt Cathy Marston, die weiss, wovon sie spricht, wenn es um die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Ballettbetrieb geht.
Fotos: © Carlos Quezada
Das Klavier bestimmt nicht nur das minimalistische Bühnenbild von Hildegard Bechtler und die romantisch angehauchten Kostüme von Bregje van Balen, sondern auch die verspielte Bewegungssprache: Arme – weitausladend von der tiefsten bis zur höchsten Oktave – sausen über imaginierte Tasten; Pliés – unterschiedlich tief – lassen einen die Musik sehen, und das Tremolo der Spitzenschuhe ist zu hören.
Die Musik und die dafür nötige Disziplin und Leidenschaft ist die Sprache, in der sich die Figuren ausdrücken, die sie verbindet. Clara hat bis vier nicht gesprochen. Im ersten Akt sehen wir das Wunderkind (Giorgia Giani), hin- und hergerissen zwischen Vater Friedrich Wieck (Esteban Berlanga) und Mutter Mariane (Shelby Williams), das Pianistenpaar ist in Trennung. Clara bleibt beim Vater, er hat Grosses (und finanziell Einträgliches) mit ihr vor. Bald tauchen ehrgeizige Klavierstudenten im Hause Wieck auf, unter ihnen Robert Schumann. Clara, noch ein Kind, entwickelt sich zur gefeierten Künstlerin (Ruka Nakagawa) und verliebt sich in den neun Jahre älteren Robert, um den sie kämpft und für den sie ihren Vater verlässt.
Cathy Marston hat ein Flair für Dreieckskonstellationen und choreografiert fantastische Pas de trois und Pas de deux. Ein Gewinn für das Ballett Zürich sind die neuen Solisten. Nancy Osbaldeston vom Royal Ballet of Flanders tanzt Clara, die sinnlich-liebende Ehefrau von Robert Schumann, grossartig interpretiert von Karen Azatyan. Nach prägenden Jahren in München und bei John Neumeier in Hamburg kehrt er nach Zürich zurück, wo er vor 20 Jahren die Tanz Akademie Zürich abgeschlossen und den Prix de Lausanne gewonnen hat. Es gelingt ihm eindrücklich, diesen zerrissenen Romantiker zu zeichnen: Schumann als Frauenheld, als Träumer, der zu den Klängen seines „Mondnacht“-Liedes mit den sieben Claras tanzt, als gescheiterter Dirigent und als gestresster Vater der ständig wachsenden Kinderschar. Belastungen, die ihn im dritten Akt um den Verstand bringen werden.
Doch vorher kommt noch der Dritte im Bunde, nämlich Johannes Brahms (1833-1897) im zweiten Akt, und seine belebende Wirkung tut nicht nur der Familie Schumann gut, sondern auch der Dramaturgie (Edward Kemp und Michael Küster) des Ballettabends. Brahms (Chandler Dalton) tollt mit den fünf (von acht) Kindern, Schüler:innen der Tanz Akademie Zürich, herum, sofern diese gerade nicht von ihrer Mutter Clara (Sujung Lim) Klavierunterricht geniessen.
Die beiden sensiblen Männer verstehen sich hervorragend und finden in kraftvollen Duos zueinander, sind sich nah bis zum Tod. Clara steht dazwischen und ist alles gleichzeitig. Zu den bisherigen Rollen kommen noch die Managerin (Inna Bilash) und die Pflegerin (McKhayla Pettingill) hinzu. Und immer, wenn eine Clara zusammenkracht, kommt der Clara-Chor angeschwebt, tröstet und stärkt, Resilienz auf Spitzenschuhen.
Die kraftvollste Clara ist die Muse, faszinierend getanzt von Max Richter, in subtil choreografierten Pas de deux mit Brahms und im Konflikt mit der Mutter in ihr. Das Corps de ballet kommt leider nur wenig zum Einsatz. Es repräsentiert die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, derem Druck die romantische Liebes- und Künstlerehe ja auch noch ausgesetzt war.
Das Wunderkind, Giorgia Giani, Die Künstlerin, Ruka Nakagawa, Die Ehefrau, Nancy Osbaldeston, Die Mutter, Sujung Lim, Die Pflegerin, Inna Bilash, Die Managerin, McKhayla Pettingill, Die Muse, Die Muse, Max Richter
Wenn die Figuren sich und ihren Verstand verlieren, eilt ihnen das Klavier zur Hilfe und bringt mit seinen Tasten, seinen rasanten Läufen und kurzen Pausen, Ordnung, Struktur und Halt. Ragna Schirmer sitzt am Flügel, nicht wie gewohnt auf der Bühne, sondern im Orchestergraben, was eine neue und sicher herausfordernde Erfahrung für die gefeierte Pianistin und Expertin in Sachen Clara Schumann ist. Komponist Philip Feeney verwendet Originalkompositionen von Clara und Robert Schumann und Johannes Brahms: Auszüge aus Klavierkonzerten und zutiefst romantische Lieder, teils etwas penetrant für Orchester arrangiert. Ein Höhepunkt jagt den anderen, aber die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Caniel Capps spielt, hörbar inspiriert vom leidenschaftlichen Geschehen auf der Bühne, und das Publikum dankt es ihm und allen Mitwirkenden mit leidenschaftlichem Applaus.
Das Ballett („bioballet“) endet mit dem Tod Robert Schumanns in einer psychiatrischen Klinik, aber Clara lebte, liebte und spielte noch 40 Jahre. So schreitet am Schluss auch Cathy Marstons Clara-Chor – nun in Witwenkleidung – beharrlich auf uns zu und hinein in eine herausfordernde Gegenwart, die Clara-Kräfte nötig hat.