Aktion Tanz, Hoffmann, Goecke, Winkler , Fotos © Ursula Kaufmann
Kritiken

Choreografische Spitzenware

Gala des Deutschen Tanzpreises in Essen

Fotos: © Ursula Kaufmann

Sie trug ihren Namen vollends zurecht, die Gala zur Verleihung des Tanzpreises 2022. So vielfältig die Geehrten stilistisch arbeiten, so vielseitg gelang auch der Festabend im Aalto-Theater Essen, dem tradionellen Austragungsort dieses Großereignisses für den Tanz in Deutschland. Seit 1983 werden dort auf Initiative von Ulrich Roehm jene ausgezeichnet, die Bedeutendes für den Tanz geleistet haben – beginnend einst mit Palucca und Tatjana Gsovsky. Die Zeiten haben sich geändert, die Sprache des Tanzes hat es auch. Insofern hinterließ das reichlich zweistündige Programm einen ausgemacht frischen Eindruck. Zu danken ist er einerseits der Jury für ihre umsichtige Auswahl.  Denn zu gleichen Teilen ging der Hauptpreis an zwei Choreografen, von denen jeder für sich Maßstäbe auf seinem Gebiet gesetzt hat: Marco Goecke, der seine Tänzer*innen als „Spielkameraden“ bezeichnet und mit ihnen gemeinsam zu neuen Ufern in der Bewegungsfindung aufgebrochen ist; Christoph Winkler, der sich bescheiden als Arrangeur sieht und für seine sozial ambitionierten Projekte künstlerisch nutzt, was seine inzwischen aus aller Welt stammenden Performer*innen an Eigenem mitbringen.

Marco Goecke

Marco Goeckes Solo „Tué“ zu liebesklagenden Chansons der 1997 verstorbenen französischen Sängerin Barbara eröffnete das Programm, Christoph Winklers Gruppenstück „Coming together“ aus seinem superben neuen Dreiteiler „Radical Minimal“ beschloss es. Ist „Tué“, präzis getanzt von Lilit Hakobyan, eine feinfühlige Reaktion auf Barbaras fast brüchige Stimme, so steht sein zweiter Beitrag, „Midnight Raga“, als außerordentlich stimmiger Dialog der beiden grandiosen Tänzer Rosario Guerra und Louis Steinmetz, auch sie vom Ensemble des Staatsballetts Hannover, mit dem klassischen Sitar-Klang der Musik von Ravi Shankar. Christoph Winkler ist mit „Coming together“ ein künstlerisch ungemein eindringlicher Kommentar zum Schicksal des bei einem Gefängnisaufstand getöteten Bombenattentäters Sam Melville gelungen. Dessen kurz zuvor verfasster Brief in stark rhythmisierter Lesung und die hierzu von Frederic Rzewski komponierte Minimalmusik treiben sieben exzellente Tänzer*innen in einen aufbegehrenden, vor Energie geradewegs berstenden Bewegungsrausch, dem das live spielende Zafraan Ensemble zusätzlich einheizt. Oluwafemi Israel Adebajo, Lisa Rykena, Aloalii Tapu, Ridwan Rasheed, Raha Nejad, Sophie Prins und Andromeda Gervasio mit Herkunft aus den Niederlanden, Nigeria, Neuseeland, Deutschland verkörpern beispielhaft Winklers Überzeugung vom Tanz als einer Welt- und Weltprotest-Sprache.

Um Teilhabe geht es auch dem Verein Aktion Tanz, der seit über 20 Jahren Kindern und Jugendlichen ermöglicht, sich über Bewegung auszudrücken und so den Tanz in die Gesellschaft zu tragen. Dafür wurde der republikweit tätige Verein mit dem Preis für besonderes Engagement in der Tanzvermittlung geehrt. Der eingespielte Film „We Live in A Strange World“ von Christin und Carola Schmid, inspiriert durch Greta Thunbergs flammende Reden, lässt seine jungen Darsteller*innen sinnträchtig auf zerstörter Natur vom Schrottplatz über den Trümmerberg bis zur Baggerlandschaft mahnen.

Auch Reinhild Hoffman war zu ihren aktiven Zeiten eine große Mahnerin und Seziererin bundesdeutscher Gegenwart. Für ihre mehrere Jahrzehnte währende Karriere als Tänzerin und Choreografin erhielt sie einen Ehrenpreis für ihr Lebenswerk. Sie bedankte sich mit einem eigens für die Gala entworfenen, mit Filmsequenzen ihrer Stücke grundierten Solo, in dem sie sich nachdenklich nochmals prägende Requisiten anverwandelte: Ball, Geweih, Steinplatte. Mit dem letzten, einem Roller, fuhr sie ab von der Bühne, hinein in ihre Gegenwart. „Solange man unterwegs ist…“ nannte sie den tänzerischen Streifzug durch ihre Erinnerungen und sprach berührende Dankesworte bei der Preisübergabe.

Gesprochen wurde auch von anderen in diesem Programm, Laudatoren, Veranstaltern, Politikern, Honoratioren, und gedankt wurde den vielen großzügigen Sponsoren, die den Abend erst möglich gemacht haben. Michael Freundt vom ausrichtenden Dachverband Tanz Deutschland führte freundlich unaufgeregt durch die Gala, die den neuen Theatertanz eines Marco Goecke, den zeitgenössischen Tanz eines Christoph Winkler und das Tanztheater einer Reinhild Hoffmann aufs glücklichste verschwisterte. Am Ende Gruppenbild mit allen Beteiligten, Blumen, Beifall. Man war mit ihnen gerührt.

Volkmar Draeger

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