Ein Kommentar von Ute FISCHBACH-KIRCHGRABER
Mehr jugendliches Interesse an Olympia hatte man sich gewünscht. Und weil schon Skateboard und Buckelpiste auf dem Programm stehen, fiel das Auge des weißen alten Mannes auf das ebenfalls durch artistische Einlagen glänzenden Breaking. Breaking, geboren in den nicht weißen Slums, ausgeübt von Menschen, die das Establishment aussichtslos im Prekariat verdammte, ist eine Selbstermächtigung der Underdogs, die den erbarmungslosen Rhythmus ihres Lebens zur aggressiven Kunstform, ja zum Lebensstil erhoben haben.
Wenn nun Breaking als Unterhaltungsform für gerade dieses Establishment dienen soll, wird es eingehegt und konserviert wie ein Eingeborenen-Reservat. Es verliert seinen Stachel und wird auf die bloße Form reduziert. Dass das Olympische Komitee damit die World Dancesport Federation beauftragt hat, diese Tanzform in ein olympisch wertbares Regelwerk zu zwängen, ist nur folgerichtig. Denn die WDSF hat sich darauf spezialisiert, das Funktionärswesen über alles zu stülpen, und Olympiagelder sind natürlich umworben.
Also wurde der Auftritt der B-Girls und B-Boys mit Spannung erwartet. In aller Eile wurden Olympia-Qualifikationsveranstaltungen in Form von Kontinentalmeisterschaften durchgeführt, um die Besten zu ermitteln, die bei der Olympiade in Paris dann um die Medaillen antreten durften. Dabei hat man natürlich übersehen, dass gerade die Besten sich diese Qualifikationen nicht leisten konnten, da die Teilnehmer auf eigene Kosten anreisen und übernachten mussten. Zudem kritisiert Breaking-Spezialist Niels „Storm” Robitzky, der als Breaking-Koryphäe das Bewertungssystem für die Olympischen Spiele mitentwickelt hat, in einem „Spiegel”-Interiew ein „undurchsichtiges Punktesystem“.
So kam es denn, dass in Paris nun Rachael Gunn aka Raygun aus Australien angetreten ist, schließlich war sie als beste Tänzerin aus ganz Ozeanien ermittelt worden. Was natürlich heißt, sie war nur die Beste aller angetretenen Tänzerinnen. Und so kam es zu ihrem kuriosen Auftritt auf der Olympiabühne, der für die ganze Breaking-Szene ein furchtbarer Moment wurde. Ihre Performance mit Känguru-Hüpfern, Knie-Rutschen und Boden-Wälzern wurde zur Lachnummer und natürlich zum viralen Internet-Hit. Die 36jährige Raygun wurde von der Jury mit 0 Punkten bedacht und landete mit einem Endstand von 0:54 auf dem letzten Platz bei Olympia.
Robitzky wirft Raygun war, dass sie „Skin in the Game“ haben und die „kulturelle Verantwortung“ hätte tragen sollen. Nur liegt der Fehler nicht wirklich bei dieser Breakerin. Der Fehler liegt darin, dass man Breaking überhaupt in ein olympisches Korsett hat zwingen wollen. Es ist vielmehr kulturell verantwortungslos, die letzten Spiel- und Freiräume von Menschen zu domestizieren und in harmloses Unterhaltungsfutter für das Establishment umzuwandeln.