„Elements“ mit Eyal, Foniadakis, Lecavalier und Bigonzetti bei Gauthier Dance in Stuttgart •
von Angela REINHARDT
Eric Gauthier lässt die Elemente toben: für Feuer, Wasser, Luft und Erde stehen die vier Uraufführungen im Stuttgarter Theaterhaus, deren Themen so erstaunlich gut zu ihren jeweiligen Choreografen passen. Entstanden sind drei wilde, dynamische Ensemblestücke und ein nervöses Solo – die vier unterschiedlichen Handschriften zeitigen eine Fülle an Assoziationen, die weit über Flammen, Tropfen, Atmen und Bodenhaftung hinausgehen. Anders als beim letzten thematisch verbundenen Abend „The Seven Sins“ ergänzen sie sich nicht unbedingt zum perfekten Gesamtbild, sondern bleiben eher ein Mosaik.
Fotos: © Jeannette Bak
Mit ihrer trippelnden Gruppendynamik zwischen Aggression und Sinnlichkeit ist die Israelin Sharon Eyal eine der angesagtesten Choreografinnen der Gegenwart, eine Uraufführung von ihr darf als Ereignis gefeiert werden. „Alone“, das kurze, aber heftige Stück für diesen Abend, fällt erstaunlich beschwingt aus, fast blitzt Humor auf – wären da nicht die blutig roten Hälse von vier Frauen, die sich nach und aus der dichten Menge herausschälen, die hier in geschützter Gemeinschaft vor sich hin wogt. Zu diesem Eyal-üblichen Organismus hatte sich die kurze, erstaunlich geometrische Chorus Line des Anfangs bald verknüllt. Die jazzige, ja lockere Musik stammt einmal nicht von Eyals ständigem Lieferanten Ori Lichtik, sondern von der englischen Popsängerin Eliza, zur ihr entfaltet sich die Gruppe wie eine Blume oder schließt verschreckt die Reihen wie eine Schar Tiere. Immer wieder blitzen in den Armen Ballettzitate auf und prallen auf verstörende Bilder wie losgelöst erscheinende Köpfe. Sehen wir blutende Zombies, die sich aus einer noch normalen Menschheit herauslösen, sehen wir Terroropfer, Flammenringe um die Nacken – oder vielleicht eine Gemeinschaft, die das Fremde toleriert, integriert, tröstet? Auf jeden Fall sehen wir eine faszinierende Körperspannung und genügend rätselhafte Bilder, um dem Spaß an diesem Stück ein Stirnrunzeln hinzuzufügen.
„Almyra“, so der Titel des Wasser-Stückes von Andonis Foniadakis, bedeutet eigentlich „Salzlake“ – hier meint es, so erklärt Eric Gauthier zwischendurch, den Moment, wo das Meerwassersalz auf der Haut trocknet. In einem funkelnden Wolkentrichter aus Laserlicht jagt der griechische Choreograf seine acht Tänzer immer wieder in rasante, lange Steigerungen und bildet das Wogen des Meeres in wild wogenden Körpern ab. Durchsetzt ist dieser hochdynamische, aber am Ende ein wenig ziellos wirkende Tanz mit kurz aufflackernden Meeresbildern – eine Frau wird aus dem Meer gerettet, wilde Seejungfrauen toben mit langen, nassen Haaren, eine Wasserpflanze züngelt, dann verlangsamt plötzlich die stumme Jenseitigkeit der Tiefsee jede Bewegung. In bunten, engen Samttrikots, deren Muster man für ein Haifischgebiss halten könnte, geht der dynamische, immer rasantere Gruppentanz später eine Etage tiefer auf dem Boden weiter.
Louise Lecavalier schoss einst bei La La La Human Steps wie ein Torpedo durch die Luft und drehte im Lederkorsett die gefährlichsten Pirouetten. Noch heute tanzt sie mit 65 Jahre alles raus, was ihr auf der Seele liegt – so jedenfalls wirkt das nervöse, feingliedrige Solo „Ether“, das die kanadische Legende in Stuttgart mit Anneleen Dedroog einstudierte, einer von Eric Gauthiers prägenden Interpretinnen. Diese sehr große, schmale und elegante Walküre spielt hier mit dem Rhythmus und steigert sich, mit Gesten um sich schlagend, in eine Art getanzten Wortschwall hinein – genervt und fluchend, melancholisch und davonfliegend, selbstbewusst und stark. Die wilde Dynamik endet in einem langen, stillen Handstand, bei dem nur die Beine ganz leicht in der Luft tanzen; später sieht sich die Frau noch einmal um und geht einfach ab. Als wäre die Luft raus.
Nach drei derart dynamischen, schnellen Stücken lauscht Mauro Bigonzetti mit zwei ganz stillen Duos in die Erde hinein: was für ein schöner, ehrlicher Tanz. Der Italiener gehört zu den ältesten Freunden von Gauthier Dance und hat hier zahlreiche Stücke gezeigt. „Spighe“, so der Titel des neuesten, sind Ähren, die hier immer wieder fiktional aus den Händen der Tänzer über ihre Kollegen gestreut und zerbröselt werden. Zu einem sterbenstraurigen Song über verhungerte Kinder zeigen die sieben Paare einen stark erdverhafteten Tanz – oft stehen sie breitbeinig mit ihren nackten Füßen auf dem Boden, es gibt keine Sprünge, nur die Frauen werden immer wieder von den Männern weit hinauf gehoben. Gudrun Schretzmeiers Kostüme evozieren eine vage Vergangenheit auf dem Land, die Frauen tragen lange, bauschige Röcke, die Männer lose Bauernhosen. Hinter einem Koffer hängend, wird Garai Perez Oloriz zum Pflug, zu einer Collage aus italienischen Songs und Klaviermusik ist es ein Stück über die Erde und ihre Früchte, über Heimatlosigkeit und das, was für immer verloren ist. Bei aller Erinnerung an Bigonzettis turbulenten Dauerbrenner „Cantata“, und ohne ein wildes Finale geht es auch hier nicht, hat „Spighe“ einen sehr ernsten Unterton, gerade in Zeiten wie diesen. Vielleicht liegt auch im Tanz, genau wie im Leben, das Wesentliche in der Reduktion.