Was machen Sie eigentlich beruflich 2.0?
Einer meiner Freunde ist Skilehrer. Ich kenne auch Tauchlehrer, Tennislehrer, Fahrlehrer und Italienischlehrer. Und was machen Sie beruflich? Sie können von Glück sprechen, wenn Sie jetzt sagen können „ich bin Ballettlehrer(in)“. Denn für die Kollegen von der modernen Sparte ist das nicht so leicht. Meine Frau Jessica Iwanson, und viele ihrer Mitstreiterinnen, die seit Jahrzehnten zeitgenössischen Tanz unterrichten oder eben auch Modern Dance, wie es früher hieß, wissen auf die Gretchenfrage „und was machen Sie beruflich?“ nicht so recht, was sie antworten sollen.
Meine Frau als Ausländerin tut sich dabei leichter. Sie denkt an alle ihre Sprach-, Fahr- und Was-sonst-noch-Lehrer und sagt „ich bin zeitgenössische Tanzlehrerin“. Uns Muttersprachlern fällt dabei sofort das Problem ins Auge bzw. ins Ohr. Das Adjektiv „zeitgenössisch“ beschreibt, was für eine Lehrerin sie ist. Wir könnten „zeitgenössisch“ auch ersetzen mit „schlecht“ oder „gut“ oder „langweilig“. Wenn meine Frau also sagt, sie sei zeitgenössische Tanzlehrerin, macht das keinen Sinn, denn jemand, der lebt, ist nun mal Zeitgenosse. „Zeitgenössisch“ wäre im besten Fall eine Abgrenzung zu „historisch“, nicht aber zu „klassisch“, denn natürlich sind auch Lehrer für klassischen Tanz Zeitgenossen.
Sie haben es bemerkt: Im Gegensatz zu Ski- und Tauchlehrern müssen wir den Spieß umdrehen und sagen Lehrer FÜR klassischen Tanz bzw. FÜR zeitgenössischen Tanz. Denn die an und für sich naheliegende Berufsbezeichnung „Tanzlehrer“ führt leider nicht zum Erfolg, das haben wir alle schon selbst erlebt. Der Begriff „Tanzlehrer“ ist in der öffentlichen Wahrnehmung im Deutschen nun mal schon besetzt von Lehrern, die auf den Brautwalzer vorbereiten.
Nun sind wir vom Tanz nicht die Einzigen, die etwas sperrige Berufsbezeichnungen haben. 18-Jährige, die auf Facebook oder Instagram Schleichwerbung betreiben, werden „Influencer“ genannt. Wer uns ahnungslosen Laien im öffentlichen Rundfunk täglich erklärt, wie draußen die Welt funktioniert, heißt „Experte“. Und hauptamtliche Randalierer und Krawallmacher in Hamburg oder im Hambacher Forst werden in den Nachrichten neuerdings mit der Berufsbezeichnung „Aktivisten“ geadelt.
Ich denke in diesem Zusammenhang oft an Ulrich Roehm, den langjährigen Vorstand des Tanzpädagogenverbandes, der sich zeitlebens darum bemühte, die Berufsbezeichnung Ballettlehrer staatlich schützen zu lassen. Doch der hochgeschätzte Herr Roehm hat sich geirrt. Es kann nicht um den staatlichen Schutz von Wörtern gehen. Die oben genannten Beispiele zeigen, dass sich gesellschaftliche Aufmerksamkeit und (finanzielle) Anerkennung nicht an der Berufsbezeichnung entzünden.
Rein sprachlich kommen wir in der Sache also nicht richtig weiter. Das beweisen Yogalehrer, die nach einem Drei-Wochen-Kurs in Indien hier aufschlagen, genauso wie selbsternannte „Social-Media-Experten“ und „Coaches“, von denen niemand so recht weiß, was sie eigentlich tun.
Dem Begründer der Öffentlichkeitsarbeit, Albert Oeckl, wird der Satz „Tue Gutes und rede darüber“ zugeschrieben. Das sollten wir uns vor Augen halten: Guter Unterricht und ein gesundes Selbstbewusstsein sind die Grundlage für den langfristigen Erfolg. Vielleicht hätte Oeckl ja vorgeschlagen, dass sich alle Tanzschaffenden, egal ob sie HipHop in Buxtehude unterrichten oder „Schwanensee“ fürs Staatsballett kreieren, einfach „Choreograf“ nennen. Rein marketingmäßig wäre das genial. „Choreograf“ klingt gut, passt für viele Sprachen und ist positiv besetzt. In diesem Sinne, was machen Sie eigentlich beruflich?
Stefan Sixt
Foto: freepick