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Weißer Schwan, schwarzer Schwan

Zum Disput ums Schminken beim Staatsballett Berlin.

Die feuilletonistischen Wogen schlagen derzeit hoch über dem Staatsballett Berlin zusammen. Vornehmlich Journalistinnen holen in ihren Beiträge weit aus, andere legen empört nach. Was ist geschehen? Eine schwarze Gruppentänzerin soll sich für die Vorstellungen von „Schwanensee“ entgegen ihrem Willen weiß schminken, wie es im übrigen ihre weißen Kolleginnen auch tun. Es geht hier nicht darum, Hautfarbe zu vertuschen, sondern sich in den Dienst einer Rolle zu stellen. Weiße Schwäne sind in diesem Ballett jene fahlen Geisterwesen, denen der Zauberer Rotbart nur des Nachts gestattet, in ihre menschliche Gestalt zurückzukehren. Schauen wir uns diesen Klassiker etwas genauer an. Sein Grundkonflikt besteht im Widerpart von weißem Schwan und schwarzem Schwan. Odile, der schwarze Schwan, ist das Trugbild, das Rotbart kreiert, um Siegfried zum Treuebruch am weißen Schwan zu verführen, was auch gelingt und Odettes Tod an gebrochenem Herzen zur Folge hat.

Würde unter den weißen Schwänen eine sichtbar schwarze Tänzerin auftreten, ließe das den weniger erfahrenen Besucher sofort schlussfolgern: Aha, das ist also der schwarze Schwan, der sich schon mal heimlich unter die weißen Schwäne gemischt hat. Und wenn dann nicht diese Tänzerin, sondern später eine weiße als Odette auftaucht, dann bricht das dramaturgische Konstrukt des Balletts endgültig zusammen. Wäre wiederum der schwarze Schwan auch mit einer schwarzen Tänzerin besetzt, ließe sich das als Rassismus deuten: gut also gleich weiß, schwarz gleich böse. Bei keinem anderen Klassiker, ob „Giselle“, „La Bayadère“ oder „Dornröschen“, ist mithin die Besetzung der Rollen so diffizil. Denn treulos vor der Hochzeit in den Tod getriebene Bräute etwa in „Giselle“ müssen nicht zwingend weiß sein, und Tempeltänzerinnen im – zugegebenermaßen – Fantasie-Indien der „Bayadère“ sind in diesem Vielvölkerstaat durchaus auch von unterschiedlicher Hautfarbe.

Wenn andrerseits das komplett schwarz besetzte Dance Theatre of Harlem einen „Schwanensee“ inszeniert, stimmt die innere Logik dieses Balletts auf ganzer Linie. Es wäre also unsinnig zu behaupten, das in Europa erfundene Ballett sei ausschließlich Weißen vorbehalten. Nur eben geht es sehr wohl um inhaltlich-dramaturgische Stringenz der Werke, und die hat nichts mit der Hautfarbe zu tun, wohl aber mit dem Dienst an der jeweiligen Rolle. Bei „Othello“-Balletten beispielsweise bietet sich die Besetzung der Titelfigur mit einem schwarzen Tänzer ebenso an, wie ein weißer Darsteller denkbar ist, dann in seiner Außenseiterposition eben anderweitig charakterisiert, wie das etwa Arila Siegert in ihrer Kreation „Othello und Desdemona“ 1988 an der Komischen Oper Berlin getan hat. Für beide Auffassungen existieren genügend weitere praktische Realisierungen.

Um auf das Staatsballett Berlin zurückzukommen. Was der besagten Tänzerin über dieses eine Ballett hinaus widerfahren ist und ob ihr die Stückkonstellation verständlich vermittelt wurde, ist eine andere, über künstlerische Aspekte hinausreichende Frage. Und die ist innerhalb der Kompanie bündig zu klären. Rassismus hat in keinem ohnehin multinational besetzen Ensemble Platz. Denn der Tanz ist eine der Kunstgattungen, in denen Internationalität allerorts aktiv und erfolgreich gelebt wird.  Dieses Privileg darf und wird um keinen Preis verlorengehen.

Ihr Volkmar Draeger ,
Chef-Redakteur