Lisa-Maree Cullum, Erste Solistin Bay. Staatsballett München © Vincent Loermans
Spezial

Was sagen Tänzerinnen über die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere?

„Als Mutter wirst Du besser tanzen“

Viele Generationen von hervorragenden Primaballerinen mussten sich im Laufe ihrer Tänzerinnenlaufbahn der Entscheidung stellen: Kinder oder Karriere? Diejenigen, die sich für die Mutterschaft entschieden, kamen nach der Geburt des Kindes oft nicht zurück in den Beruf. Diejenigen, die weiter tanzten, hatten unter Umständen das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Geht doch die Tänzer-Karriere früher zu Ende als erwünscht – Mutter dagegen bleibt man (hoffentlich) sein Leben lang.

Zum Glück scheint sich diese Unvereinbarkeit aufgeweicht zu haben. Berühmte (Erste) Solistinnen haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sich sowohl tänzerischer Lebenslauf und Muttersein gut kombinieren lassen.

Katarzyna Kozielska, seit 2000/2001 Ensemblemitglied und seit 2006 Halbsolistin des Stuttgarter Balletts, hat gemeinsam mit ihrem Partner Damiano Pettenella eine inzwischen dreijährige Tochter.
Mit Organisationsgeschick und Unterstützung seitens Großeltern, Freunden und Kollegen sind Auslandsreisen oder Aufführungen am Abend problemlos möglich. Sind Mama Katarzyna und Papa Damiano beispielsweise auf zweiwöchiger Gastspielreise, darf die Tochter zur Großmutter nach Polen fliegen. Die Stuttgarter Halbsolistin findet in den Abendstunden sogar Zeit für ihren „zweiten“ Beruf: die Choreographie. Erst im vergangenen Herbst hatte Kozielska einen Pas de deux namens „Finger“ für die Erste Solistin Elizabeth Mason und den Gruppentänzer Jesse Fraser kreiert. Dies gelinge ihr aber nur, weil sie sich auf ihren Partner verlassen könne: „Mein Mann und ich teilen uns Haushalt und Kindererziehung. Das hilft mir, Zeit und Kraft für andere Projekte zu gewinnen und die Vater-Tochter Bindung ist dadurch sehr eng geworden.“ Ein weiterer positiver Nebeneffekt des Elterndaseins zeige sich auf der Bühne: Kozielska ist überzeugt, ausdrucksstärker aufzutreten: „Man hatte mir vor der Geburt prophezeit, nach der Babypause freier und relaxter eine Aufführung tanzen zu können. Es stimmt tatsächlich! Auch Damiano ist viel emotionaler, viel weicher geworden.“

Muss ein „Schwanensee“ noch sein?

Den richtigen Zeitpunkt für ein Kind zu finden, ist besonders für Solistinnen schwer. Sie stehen in einer Kompanie mehr im Mittelpunkt, sind dem Konkurrenzdruck stärker ausgesetzt. Eine längere Babypause könnte sich da ungünstig auf den Lebenslauf auswirken. Oft locken Rollendebüts, Gastspiele, die Zusammenarbeit mit einem besonderen Choreographen oder gar eigene Projekte. Manchmal sind es daher Zufälle, die den Weg zur Mutterschaft ebenen. Die gebürtige Argentinierin Carolina Agüero tanzt als Erste Solistin beim Hamburg Ballett – John Neumeier. Eine komplizierte Beinfraktur zwang sie zur Rehabilitation. In diese Zeit der Schonung fiel dann die erfreuliche Gewissheit. „Manchmal haben Dinge, die passieren, einen Grund“, so Agüero, „die Schwangerschaft half mir, meinen Körper nach der Verletzung nicht wieder bis zum Limit zu pushen. Ich musste auf mich, mein ungeborenes Kind und auf meinen Fuß achten. Das daraus folgende sanfte Training war in der Schwangerschaft wie auch als rehabilitative Maßnahme geradezu ideal.“

Dornröschen
Lisa Cullum und Roman Lazik, Maria Eichwald, Lukas Slavicky, Sherelle Charge, Premiere 2.12.03, Foto (2003)
Charles Tandy

Hilfe, mein Körper wächst

So gut wie das Tanztraining für werdende Mütter auch sein mag, so spürbar sind im Ballettsaal die körperlichen Veränderungen. Hormonbedinge Emotionsschübe, Übelkeit, Wasseransammlungen, der Zuwachs an Bauch und Gesäß, der Drehungen unwuchtig werden lässt. Für Ballerinen, die der ständigen Reflexion der körperlichen Proportionen und der tänzerischen Leistung ausgesetzt sind, kann eine Gewichtszunahme irritierend wirken. Lisa-Maree Cullum, seit über 13 Jahren als Erste Solistin am Bayerischen Staatsballett engagiert, ging offen und humorvoll damit um, sprach locker in der Garderobe ihre Rundungen an. Wusste sie doch, dass es nur ein vorübergehender Zustand ist. Vielmehr erstaunte sie, was der weibliche Körper in dieser Zeit zu leisten vermag. Sie entschied sich daher bewusst, ihre Schwangerschaft zu genießen. „Als Tänzer arbeitet man von früh bis spät. Und nun merkt man, dass es noch etwas anderes als Ballett gibt“, so Cullum.

…und während des Coachings für Don Q © Vincent Loermans

Anke Hellmann

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 53 (2013) erschienen.