Bodentraining nach Boris Kniaseff
In vielen Ballettschulen werden Kurse mit Titeln wie Floor Barre, barre a terre, Bodentraining usw. angeboten, die meist als Ergänzung zum normalen Training oder als Warm-up vor dem Stangenexercice gedacht sind. Die Basis für diese Programme hat Boris Kniaseff gelegt, der als erster auf die Idee kam, seine Schüler nicht an der Stange, sondern auf dem Boden trainieren zu lassen.
Der 1900 in St. Petersburg geborene Tänzer, Ballettmeister und Pädagoge hat nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris sein spezielles Trainingssystem für das Balletttraining am Boden entwickelt und es anschließend international in Workshops vermittelt. Bis heute ist sein Bodentraining in Frankreich besonders weit verbreitet. Eine Anekdote besagt, dass der Anstoß zu Kniaseffs Idee ein Trainingsgebäude war, in dem keine Stangen angebracht werden durften, sodass der Ballettmeister eine Alternative benötigte, um seine Tänzer dennoch vorwärts zu bringen. In jedem Fall ist das Bodentraining praktisch für alle, die mit wenig Platz auskommen müssen und kann ganz ohne Stange oder andere Hilfsmittel ausgeführt werden. Dadurch kann man nach der Kniaseff-Methode auch zu Hause oder auf Reisen in einem Hotelzimmer trainieren, um beispielsweise während des Urlaubs fit zu bleiben.
Bei dem Training geht es hauptsächlich darum, die Dehnung sowie die Auswärtsdrehung der Beine zu verbessern. Dazu werden die Übungen nicht nur im en dehors ausgeführt, sondern auch mit nach innen gedrehten Beinen. Währenddessen sitzen die Schüler auf dem Boden oder liegen auf dem Rücken, wenn die Übungen nach vorne ausgeführt werden und liegen auf dem Bauch, um die Übungen nach hinten zu trainieren. Da ein Teil aller Übungen auf dem Bauch mit vom Boden abgehobenem Oberkörper ausgeführt wird, kräftigt das Training speziell die gesamte Muskulatur des Oberkörpers und Rückens. Durch den Bodenkontakt lässt sich zudem ein besonders gutes Gefühl für die korrekte Haltung aufbauen. Außerdem konzentrieren sich die Schüler stärker als bei der Arbeit an der Stange auf den eigenen Körper und die regelmäßige Atmung, anstatt sich vom Spiegel ablenken zu lassen. Da viele Übungen das Flexen und Strecken der Füße beinhalten, wird auch die Fußmuskulatur gut gestärkt. Ein weiterer Vorteil ist, dass in der sitzenden und liegenden Position die Gelenke nicht belastet werden. Dadurch ist das Training besonders nach Verletzungen gut geeignet, um den Körper schonend wieder auf den alten Trainingsstand zu bringen.
Seit Kniaseffs Tod 1975 haben seine Schüler in Frankreich, aber auch Pädagogen in vielen anderen Ländern die Idee des Trainings am Boden aufgegriffen und zum Teil abgewandelt oder weiterentwickelt. Eine von ihnen ist die Ballettpädagogin Anita Barth, die seit 1975 u.a. Bodentraining nach Kniaseff unterrichtet. Sie selbst hat in den 50er Jahren in München einen von Boris Kniaseff geleiteten Kurs besucht. Die Übungen fanden ohne Musik und nur mit rhythmischem Klopfen statt und schnell bemerkte die damalige Elevin der Bayerischen Staatsoper München, dass ihr die neue Methode half, ihre Technik zu verbessern. Als sie später ihre eigene Ballettschule in Berlin eröffnete, wurde das Training nach Kniaseff schnell fester Bestandteil des Stundenplans. Seitdem hat sie mit der Trainingsmethode beste Erfahrungen gemacht und beobachtet bei Schülern immer wieder, dass sich Trainingserfolge schneller einstellen, wenn regelmäßig etwa einmal pro Woche nach der Kniaseff-Methode trainiert wird. Sie integrierte einzelne Übungen in den Unterricht für Kinder und bot das Bodentraining auch als komplette, separate Trainingseinheit an, die etwa eine Stunde dauert. Dabei werden Übungen wie plié, fondu, développé oder grand battement am Boden ausgeführt, wobei jede Kombination zuerst auf dem Rücken liegend, dann auf dem Bauch geübt wird.
Außerdem lässt sich das Kniaseff-Bodentraining nicht nur alleine, sondern auch zu zweit ausführen. Jede Übung wird dabei erst von dem einen, dann von dem anderen Partner trainiert. Der Partner, der gerade nicht selbst dran ist, kontrolliert das „Stand“bein und leistet Hilfestellung beim Dehnen. Nebenbei fördert die Partnerarbeit auch das Verständnis für das richtige Arbeiten an der Stange.
Somit bringt das Training nach der Kniaseff-Methode jedem etwas. Bei Schülern lassen sich Haltungsfehler verbessern und Kraft aufbauen, Profitänzer schätzen die gelenkschonende Trainingsmethode als effektives Warm-up und sanften Fitmacher nach Auszeiten. Außerdem können auch gut nur einzelne Übungen aus dem Kniaseff-Programm herausgegriffen werden, um das reguläre Training zu erweitern und noch effektiver zu gestalten. Da die Übungen in der Länge ähnlich sind wie beim Stangenexercice, kann ganz normale Trainingsmusik verwendet werden.
Julia Piu
Einen guten Einblick bietet die von Anita Barth herausgegebene DVD „La barre à terre“. Bodentraining für die klassische Ballettausbildung, die über die Webseite www. ballett-lehrplan.de erhältlich ist.
Foto Flora Almeida, Tanz Studio Tutzing