Edward Clugs „Ein Sommernachtstraum“ beim Staatsballett Berlin
von Volkmar Draeger
Die Zeiten ändern sich. Erinnert man zahllose Tanzversionen von Shakespeares deftigem Fünfakter „Ein Sommernachtstraum“ (vor 1600), denkt man an komödiantisch pralle Aufführungen, brillant die von John Neumeier etwa oder auch von Heinz Spoerli, die als Gaudi an der Deutschen Oper Berlin lief. Dort feierte eine Neueinstudierung von Edward Clug Premiere. Dem rumänischen Choreografen gelang andernorts ein wunderbar tiefschürfender, entsprechend gern nachgespielter „Peer Gynt“, gelangen weitere Anverwandlungen tragischer Gestalten der Weltliteratur. Dass er auch Komödie kann, hat er mit der Berliner Uraufführung nicht nachdrücklich bewiesen. Wo klar konturierte Charaktere in ihrem erotischen Wollen nötig gewesen wären, wartet er allenfalls mit Schemen und Chargen auf, und das in einem dürren Gedankenkonzentrat statt in einer Shakespeare gemäß geballten Handlung. Gewiss, getanzt wird reichlich und redlich, in einer zeitgemäßen Bewegungssprache mit ausgelenkten Achsen, gewölbten Körpern und ihren temporeich ersonnenen Verquickungen. Nur teilt sich dabei wenig von der Drastik und dem zugespitzt heiteren Zusammenprall der agierenden Widersacher mit.
Clug will, und das ist löblich, jedem Abkippen in Elfenkitsch entgehen, bleibt in seiner Choreografie indes derart unterkühlt, das besonders im zweiten Teil seiner Bühnenfassung gepflegte Langeweile aufkommt – der Untergang jeder Komödie. Dabei sind die Voraussetzungen nicht übel. Marko Japelj hat einen weiten Rundhorizont als Szene entworfen, in dem einzig eine Schräge, zerklüftetes Felsmassiv oder verwitterter Baumstamm, wandelbar ist. Sie dient als abschüssiger Auftritt für Puck und den personifizierten Wald durch eine Tür im Horizont, hinter der lichtes Gestrüpp von sattem Grün sichtbar wird. Fahrbar ist dieser Übertritt aus dem Naturreich in ein athenisches Nirgendwo. Weil es keinerlei weitere Verwandlungen gibt, bleibt der Blick stets auf den Tanz konzentriert.
Fotos © Yan Revazov
Cohen Aitchison-Dugas, Leroy Mokgatle
Ross Martinson
Den dominiert gute zwei Stunden lang eine Figur: Oberons Handlanger Puck, ungemein zierlich und ebenso biegsam in seinem Körperausdruck. Es gibt anscheinend nichts, was Leroy Mokgatle nicht könnte, vom Sprung bis zum Spagat. Leicht umheben und schleudern lässt er sich, drückt in beredten Haltungen sein Empfinden aus. Die anderen Figuren haben es gegen solch filigrane tänzerische Urgewalt schwer, die vier Edelleute in ihren Liebesverwicklungen ebenso wie das Herrscherpaar. Clug vereint die Figuren von Oberon und Titania mit denen von Theseus und Hippolyta, trägt den Feenzwist ins Menschenreich. Weshalb Oberon und Titania allerdings streiten, bei Shakespeare um einen indischen Knaben und mit durchaus erotischen Absichten, bleibt unmotiviert.
Clug fährt einiges an Einfällen auf. So zieht Theseus die ihm anverlobte Hippolyta über die Szene auf einem Skateboard, das aufgestellt als Vaginalsymbol und damit Theseus’ eigentliche Intention deutbar ist. Die Bühne verlängert er über einen Gang entlang der Orchesterwanne in den Zuschauerraum hinein und schafft ein Mehr an Nähe zum Geschehen. Die Handwerker tummeln sich um einen Tisch, der hochkant zur Trennwand mit Guckloch für die Geliebten Pyramus und Thisbe wird. Das witzige Spiel des Quintetts legt der Choreograf als pantomimische Stummfilm-Klamotte an und lässt, was sie sagen wollen, per Sprachband projizieren – eine streitbare Zäsur im ansonsten tänzerischen Ablauf. Der ist fließend, mitunter fliegend, dicht und akrobatisch aufgeladen, geht dem Betrachter jedoch nicht unter die Haut. Kaum einer der Pas de deux erzielt bleibenden Eindruck. Den schafft Clug mit der Idee des Menschen-Waldes: Rotstrümpfige Geister in Trikots und mit Blatthänden betreten durch die Tür herab wie moderne Bajaderen den Raum, gliedern ihn in mannigfach schlängelnden Formationen, umschreiten die Akteure, grundieren den Tanz des Solopaars. Liegend in Kreisform recken sie ihre Rotbeine, ein Beinpaar wird zur Blume, deren Saft Puck milkt und so folgenschwer in die falschen Augen träufelt. Überzeugend der parallele Werbetanz von Demetrius und Lysander um Helena; verständlich, dass eine der Liebenden erzürnt ihre Rivalin vom Fels stürzt – wohlbehalten wird sie von den Freiern aufgefangen. Ein Riesenheuschreck trippelt auf Spitze durchs Handwerker-Bild. Am Ende lösen sich, dank Shakespeare, die Verwicklungen: Nach einer überraschenden Schwebephase der verwirrten Liebenden hochzeiten die richtigen drei Paare. Zu Glockenläuten defilieren die Athener nicht ganz einsichtig mit schwenkenden Eimern.
Weronika Frodyma, Cohen Aitchison-Dugas uns Ensemble
Weronika Frodyma, Cohen Aitchison-Dugas uns Ensemble
Milko Lazars eigens verfertigte Komposition weist freilich mehr auf als Glockengeläut. Sie hält sich dienend zurück, greift untermalend in die Handlung ein und stiehlt dem Tanz nicht die Schau. Mit einem modernen Instrumentarium erzeugt er dezente, bisweilen minimalistisch anmutende Klänge, steuert flirrende Streicher, tremolierende Flöten, mit Klavier und Solovioline auch kantable Teile bei. Eigenwert im Sinn einer konzertanten Aufführung hat sie in ihrer Kleinteiligkeit eher nicht. Den Tanzenden um Weronika Frodyma und Cohen Aitchison-Dugas in den Doppelrollen Hippolyta/Titania und Theseus/Oberon ist sie atmosphärisch allemal hilfreich. Jubel um ein wenig zauberisches, komödiantisch zu abstinentes, vom Orchester der Deutschen Oper unter Victorien Vanoosten engagiert begleitetes Sommernachtsträumchen mit balanchineskem Divertissement. Sein Publikum wird es auch in den Folgevorstellungen finden.