Ballett – Tanzabend von Guido Markowitz – Uraufführung im Stadttheater Pforzheim
Leidenschaft, Gier, Macht, Hingabe, Liebe, Kummer, Abscheu, Hass, Zärtlichkeit und am Ende ein Schrei aus vielerlei Mündern. Einer, bei dem der ganze Körper ein einziger verzweifelter Schrei ist. Den muss man nicht hören, die Wucht kommt auch so beim Publikum im Großen Haus des Pforzheimer Stadttheaters an. Zitternde Körper liegen am Boden. Zeus hat ganze Arbeit geleistet: seine Macht ausgekostet, Beziehungen zerstört, auch die Hoffnung. Mit diesem Paukenschlag am Ende eines emotionsgeladenen und von Guido Markowitz Ballettensemble vom Scheitel bis in den kleinen Zeh perfekt, kraftvoll und anmutig transportierten Aussagen wird der Besucher dieser Uraufführung dann zurück gelassen. Damit muss er alleine klar kommen.
Es ist ein Strudel, der einen fast hinab zieht, auf jeden Fall aber in Sekundenschnelle auch hinein zieht ins Geschehen auf der Bühne. Die Aufführung heißt nicht umsonst „Verwandlungen“: Guido Markowitz hat es gewagt, mit der Interpretation der klassischen Tanzerzählung „Der Feuervogel“, Ovids Metamorphosen und mit einer „Versetzung“ des Göttervater Zeus in die Moderne seine eigene Verwandlung zu inszenieren und seinen eigenen Stil heraus zu schälen. Das kleine, aus nur gut einem dutzend Tänzerinnen und Tänzern bestehende Ensemble vertraut ihm und geht diesen neuen Weg mit – tanzt ihn mit, stampft ihn mit, windet sich, krallt sich aneinander, fliegt beseelt über den Boden, selten löst sich eine Figur aus der Masse. Man kann nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander. So sieht es aus.
Man muss sie nicht gelesen haben, die Metamorphosen des berühmten Dichters Publius Ovidius Naso (kurz: Ovid), die der am 20. März 43 vor Christus Geborene vor über 2000 Jahren geschrieben hat. Es genügt, dass man annähernd weiß, wer sich auf der Bühne im wilden Tanz tummelt: Orpheus und seine durch einen Schlangenbiss dahingeraffte Eurydike, das perfekte Liebespaar Venus und Adonis, der von der Jagdgöttin Diana in einen Hirsch verwandelte Aceton und die in eine Bärin verwandelte Nymphe Calisto. „Es ist“, so sagt Ballettchef Guido Markowitz, „ein Blick in den Kopf von Ovid.“ Seine Gedanken, denen die Verwandlungen (Metamorphosen) entsprungen sind stellt der erste Teil des Tanzabends dar. Hinter der raschelnden schwarzen Folie taucht pickend und mit typisch ruckelnden Vogelbewegungen der „Feuervogel“ auf, die Tänzerin greift die zuvor auf den Vorhang projizierten Flügelbewegungen auf. Der 1910 zum ersten Mal aus dem Ei geschlüpfte Feuervogel von Igor Strawinsky soll den in die Prinzessin verliebten Mann ablenken. Das geschieht durchaus mit klassischen Ballett-Elementen – auf Spitze getanzt. Faszinierend ist es, die Verschmelzung von klassischen Ballettelementen mit moderner Bewegung zu verfolgen. Das hat seinen Reiz und führt dazu, dass man jede Bewegung mit Argus-Augen verfolgt. Michel Fokine hat das schon Anfang des 20. Jahrhunderts gewagt und dem stumpf gewordenen Ballett damit die Spinnwegen von den Ballettschuhen gefegt. Auch Guido Markowitz bringt sein Ensemble dazu, die Emotionen mit jeder Faser des Körpers für den Betrachter sichtbar werden zu lassen. Körper, die man lesen kann. Die wie ein offenes Buch sind. Da sind keine Pirouetten drehenden Marionetten auf der Bühne, sondern Menschen aus Fleisch und Blut.
Klarheit, Leichtigkeit ist es, was Guido Markowitz im zweiten Teil der Trilogie in den Vordergrund rückt. Die Basis hierfür bildet Strawinskys „Dumbarton Oacks“ aus dem Jahr 1937/38. Episoden aus Ovids „Metamorphosen“ werden dazu getanzt. Mit goldenen Masken, mit Hirschgeweih, Verwirrungen, Irrungen, mit einer raffinierten Bühnenteilung mit einem erhöhten Tanzboden wird der Tanz auch in der Unterwelt sichtbar. Verbannung als Erlösung? Tod als Befreiung? Die Themen sind so vielschichtig, wie der ausdrucksvolle Tanz. Ovid wird übrigens nach Erscheinen der „Metamorphosen“ von Kaiser Augustus aus Rom verbannt. Ist sie zu schwer, die Kost? Es ist auf jeden Fall aufwühlend, auch auf der Pforzheimer Bühne.
Im dritten und letzten Teil des Tanzabends rückt der Pianist auf die Bühne, bildet die Komposition „Metamorphosis“ von Philip Glass den musikalischen Hintergrund mit melodischen Wiederholungen, die gleichzeitig hoffnungsvoll und melancholisch klingen und das, was das Ballettensemble tanzt noch tiefer in die Wahrnehmung eindringen lässt. Hier wagt Markowitz den Spagat von der Antike in die Moderne. Die Götter von damals als die Götter von heute, im Anzug statt im goldenen Vlies. Die Probleme von damals sind die Probleme von heute. Um große Gefühle, große Emotionen gut sichtbar zu machen braucht es ein auf das Wesentliche reduziertes Bühnenbild. Dem Stuttgarter Medienkünstler Philip Contag-Lada gelingt das: Videoinstallationen lassen Flammen züngeln, 2000 Jahre alte Götter- und Menschengestalten über den Vorhang flimmern, das Wort Zeus ins Auge springen. Der Zauberwald ist eine schwarze Folie, die raschelnd dunkle Gestalten gebärt. Die Götter und Menschen der Antike treiben es bunt zwischen unbunten, von der Decke hängenden Stoffbahnen.
Nur, wie geht sie aus, die Geschichte von Hera und dem seine Trieben mit aller List und Tücke auslebenden Zeus? Kehrt der sich im dritten Teil in seiner Macht suhlende Zeus in den Schoß Heras zurück? Lässt er sie links liegen? Es ist beides und nichts davon. Alles ist möglich. Auch heute. Und im Tanz erst recht. Dafür ist die mutige Inszenierung von „Verwandlungen“ ein lebendes, ein getanztes Beispiel. Der lang anhaltende Applaus spricht für sich. Er ist verdient.
Text und Fotos: Susanne Roth