"Far" Choreografie Wayne McGregor. Foto: Johann Sebastian Hänel
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Über Tanz-Ausbildung heute – Ein Beitrag zum Diskurs Staatliche Ballettschule Berlin von Arila Siegert

Kunstmachen ist ein Akt, die innere, unsichtbare Welt sichtbar zu machen und sie ins Verhältnis zum Jetzt und Heute zu setzen.  Dazu braucht es Mut, Selbstvertrauen und Ausdauer.

Angst und Hemmungen zu überwinden, aus sich herauszugehen, sich und damit sein Instrument, den eigenen Körper, in ständiger Korrekturbereitschaft zu halten und sich einem hohen Leistungsanspruch auszusetzen, das bedeutet: Tänzer, Künstler werden/sein.

Die Persönlichkeit spielt dabei eine entscheidende Rolle. Der Tänzer ist unzertrennlich mit seinem Instrument, dem Körper, und seinem ganzen Sein verbunden. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln muss er ausdrucksvoll und inspiriert, auf professionellem Niveau tanzen und sich immer weiter vervollkommnen.

Im Klassischen Ballett erlernt man einen Bewegungs-Kodex von Kunstbewegungen. Es ist eine eigene Sprache mit einem genialen Trainingssystem dahinter. Anfang des 20.Jahrhunderts kam der Freie Tanz dazu. Isadora Duncan machte den Tänzer*in zum Schöpfer individueller, künstlerischer Äußerung.

Djagilew und seinen Ballets Russes gelang dann die Synthese von professioneller klassischer Technik mit dieser strengen Körperschule, dem Belcanto gleich, und einem freien Umgang mit der Bewegung und den anderen Künsten. Das klassische Training ist „nur“ die Voraussetzung für die Tanzkunst.

Der Tänzer ist nicht das Werkzeug oder das „Material“ des Lehrers oder des Choreographen, sondern ein Künstler. Wenn das in einer Ballettschule oder einem Ballettensemble nicht vermittelt wird, dann fehlt etwas Grundlegendes.

Heute im Zeitalter der #meToo-Debatte hat sich vieles in der Arbeits- und Kunstwelt gewandelt. Der alte Drill von oben herab ist nicht mehr gesellschaftsfähig.

So sind für mich drei Dinge zu befragen:

  • Warum wurden die Probleme in der Staatlichen Ballettschule Berlin anonym angezeigt und nicht offen benannt und diskutiert, sowohl von den Schülern und Studenten als auch von den Pädagogen.
  • Gab es keine Streit-Kultur? Die Studenten und Schüler müssen auch lernen, sich gegen überkommene Methoden zu wehren; das benötigen sie auch für ihr späteres Leben, an Theatern und in der freien Szene.
  • Vielleicht fehlt das beschriebene künstlerische Herangehen in der Ausbildung und es geht zu sehr nur um klassische Tanztechnik? Das ist eine Beschneidung der Persönlichkeit und führt zu Aggression und Frust.

(Selbst-)Disziplin und innere Freiheit sind grundlegend, damit der Tanz „lebt“. Kadavergehorsam tötet ihn. Gegen Übergriffigkeit muss man sich wehren.

Die zwei Direktoren, Gregor Seyffert und Ralf Stabel, auf eine anonyme Meldung hin freizustellen, halte ich auch für eine Art „Abschulung“ oder eine Form der „Angstkultur“ von oben herab.

Ich bin zwar in Dresden an der Palucca Schule ausgebildet worden, klassisch und modern. Aber viele Kolleg*innen, unter anderem Gregor Seyffert und mehrere Pädagog*innen der Staatlichen Ballettschule Berlin, waren meine geschätzten Partner*innen.

Im offenen Diskurs müssen wir uns alle, gemeinsam und mit Achtung vor der Lebensleistungen des jeweils anderen, produktiv auseinandersetzen. Wir sollten uns gegenseitig die Chance geben, voneinander zu lernen, künstlerisch, menschlich.

Die Autorin dieses Beitrags, Arila Siegert, ist Tänzerin, Choreografin und Opernregisseurin. Sie ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin, der Sächsischen Akademie der Künste sowie der Mitgliederversammlung des Goethe Instituts.