Die Zuschauer im Bayerischen Staatsballett bei Wayne Mc Gregors „Sunyata“ hatten nur von oben aus den Blick auf den fabelhaft bunten Bühnenboden. Wer im Parkett saß hat nichts davon mitbekommen…© Ute Fischbach-Kirchgraber
Performance

Tanz im Theater oder in der Olympiahalle?

Über Für und Wider und besondere Publikumserwartungen

Ein Kommentar von Ute Fischbach-Kirchgraber

Wo kann das Publikum eine Ballett- oder Tanz-Vorführung am besten miterleben? Dumme Frage, auf der Bühne natürlich. Aber wie groß soll die Bühne sein und wie weit sind die Zuschauer*innen entfernt? Das Theater ist erst einmal der angestammte Platz. Doch von Sitz zu Sitz ist die Sehweise eine andere. Und ebenso kommt es auf die Motivation des Betrachtenden an: was will man verfolgen, die kleinsten Details eines Port de bras, das sich abzeichnende Muskelspiel oder nimmt man das Geschehen wahr wie eine wogende Welle, die sich in die Tiefe des Raums ergießt.

Ganz vorne im Parkett ist man am nächsten dran bei einem intimen Pas de deux. Allerdings sind die Plätze vor der Bühne in großen Opernhäusern oft auf so niedriger Ebene, dass durch den steilen Blickwinkel die Fußspitzen abgeschnitten werden. Nicht nur bei hoher Zehenspitzentanzkunst einer Petipa-Choreografie ein NoGo. Schließlich spielen die Beine des Tänzers oder zumindest zuckende Muskeln eine Hauptrolle. Wenn der größte Schwanensee aller Zeiten mit 48 statt 24 Schwänchen angesagt ist, kann ein bisschen Abstand nicht schaden – das Gesamt-Tableau geht sonst verloren…  Aber das tut es ohnehin, wenn so eine gigantische Show in das kleinste Theater der Stadt gequetscht wird.

Wäre da nicht eine Olympiahalle besser? Opulenz und raumgreifende Manegen kämen da besser zur Geltung. Es sei denn, man sitzt ganz weit hinten und kann eigentlich die Agierenden mehr ahnen als sehen. Aber immerhin: die in Ameisengröße sich Tummelnden tun das live – und man kann sagen, man sei dabei gewesen. Wobei es da einen Zusatzservice gibt: Großleinwände, auf die das Tanzen übertragen wird. Hat man da am Ende nicht mehr erlebt als von einem mediokren Platz im Theater aus, wo sich bevorzugt Sitzriesen vor einem breit machen und Nackenverrenkungen einfach zugehören?

Wahrscheinlich ist es auch eine Frage wie man mit Tanz sozialisiert wurde. Wer aus der „analogen“ Zeit stammt, in der ein Theaterbesuch zu den ganz besonderen kulturellen Highlights gehörte, auf die man sich einstimmte, indem Frau zum Friseur ging und sich herzklopfend in ein rauschendes Abendkleid warf, für den ist Theater ein Tempel der Kunst. Also die erste Wahl für eine Ballettaufführung, die dadurch einen elitären Touch bekommt.

Wer Tanzkunst dagegen rein demokratisch denkt und sich den bürgerlichen Äußerlichkeiten des Establishments verweigert, der besucht lieber die Olympiahalle. Da braucht es keine Etikette und niemand rümpft die Nase, wenn man sich mit dem Rücken zu den Zuschauern durch die Reihen quetscht. Deshalb ist man nicht weniger begierig darauf, sich auf eine Show zu freuen und sich von großen Emotionen bewegen zu lassen.

Warum sollte eine hohe Tanzkunst nur wenigen Zuschauern vorbehalten sein? Was die klassischen Choreografien angeht, werden die Künstler, die sie in Vollendung ausführen können, ohnehin weniger. Warum sie also nicht vor großem Publikum in einer Olympiahalle präsentieren?  Zumal es, wie die „Let´s dance“-Show von RTL beweist, ein überragendes Interesse am Tanz gibt. Auch in diesem Jahr schnitten die Einschaltquoten besser ab als all die anderen Angebote der anderen Sender: von Jugendlichen bis zu den Erwachsenen war die Neugierde groß. Und die anschließende „Let´s dance“-Tournee führt selbstverständlich auch in die Olympiahalle.

Fragt sich nur, wieso zu dieser Tanz-Show mit den Promikandidaten, den allseits erprobten Professionals und der flapsig bis kundige Jury mit Joachim Llambi, Motsi Mabuse und Jorge Gonzales die Massen strömen, während die Zuschauerzahlen bei den regulären Tanzwettbewerben der großen Weltverbände immer spärlicher ausfallen. Den Weltmeister wollen weniger Zuschauer sehen als einen B-Klasse-Promi. Aber das liegt wohl am nachvollziehbaren Show-Effekt von „Let´s dance“:  Der Zuschauer braucht kein Studium, um die Kommentare zu verstehen, er darf in Einspiel-Filmchen dabei sein, wenn es um tänzerisches Blut, Schweiß und Tränen geht. Und beim Voting bekommt er eine eigene Stimme.

Das läuft in der Ballroom-Szene anders: Alles nach außen hin easy, intern aber alles unter Kontrolle und Verschluss. Da fehlt der Fun-Faktor. Und den braucht es schon für ein größeres Publikum. So ist der Zuschauer nur als Kulisse erwünscht – und das ist ein bisschen wenig.

Fun oder Kunst – so spitzt sich die Frage zu, die der Zuschauer für sich beantworten muss. Und natürlich will er nicht zwischen allen Stühlen sitzen.

Ute Fischbach-Kirchgraber