Tanz: Máté Asbóth, Jihun Choi und Jin Lee (v.l.n.r.), © Christoph Gredler
Kritiken

Spiel im Spiel

Auf Säulen der Phantasie erbaute Erlebniswelten

von Vesna Mlakar

Ceren Oran mitreißendes „Spiel im Spiel“ – ein Tanzstück für alle ab 3 Jahren – wurde im HochX Theater und Live Art München uraufgeführt. Kaleidoskopisch beleuchtet es die kindliche Tugend, Schwierigkeiten und Herausfoderungen mit Leichtigkeit zu begegnen.

 Ceren Orans Stücke touren weltweit. Insbesondere trifft das für ihre charmanten Produktionen für Kinder zu. Fabelhafte Profitänzer schürfen darin tief im Fundus menschlicher Emotionen bzw. Verhaltensweisen. Die gefühlsschillernden Schätze werden anschließend in die reizvolle Momenthaftigkeit kurzer Begegnungen gepackt, die sich wie zufällig oder infolge spielerischer Impulse ergeben. Eigenwillige Individuen nähern sich einander an, verwandeln sich, man hilft sich oder streitet, erkundet gemeinsam die Umwelt und trickst sich dabei gelegentlich aus.

Die kindliche Vorstellungskraft kennt eben (noch) keine Grenzen. Wer mag, darf die gerade gültigen Regeln verwerfen und bestimmt somit, wie das Spiel nun – anders – weitergeht. Simple Holzhocker wachsen zu Bergen zusammen, fügen sich zu Stegen und Brücken. Aber auch die eigenen Klamotten können ausgebreitet am Boden den Weg zur nächsten Geschichte pflastern. Das geht – begleitet von zarten, zunehmend melodiösen Klängen (Musik: Gudrun Plaichinger) – rund 40 Minuten lang wunderbar gut. Denn die anfangs forsch zwischen den Gummibändern eines lattenrostähnlichen mobilen Stellers Richtung Publikum lugenden Protagonisten der Uraufführung, Jin Lee, Jihun Choi und Máté Asbóth, zeichnet vor allem eine (vermeintlich) naive Neugierde und stets konsequente Entscheidungsfreudigkeit aus.

Durch immer wieder neue, oft kuriose, unter Verwendung reduzierter Mittel abstrahierte, dabei in ihrer unverstellten Schlichtheit einfach anrührende Geschehensverschlingungen entsteht vor den Augen des Publikums eine herrlich imaginäre, auf Säulen der Phantasie erbaute, mitreißende Erlebniswelt: ein Kosmos, den man als Erwachsener wahrscheinlich anders entschlüsselt als die Jüngsten im Publikum, die wohl noch nichts vom vermeintlichen Kinderbuchautor Antoine de Saint-Exupéry und dem Fuchs aus seiner berühmten Erzählung vom kleinen Prinzen gehört haben dürften. Gerade ohne ein über Jahrzehnte angesammeltes Assoziationswissen im Hinterkopf rezipieren sie genauso prompt wie beim Spielen, wenn sie rund um irgendwelche Gegenstände ganz eigene Abenteuer erfinden. So wie hier: Da wachsen einbeinige Gestalten in Omas Rüschen zu Blumen heran, und die Tatsache, dass zudem Vögel und Fahrzeuge die Bühne bevölkern, wird durch selbsterzeugte Geräusche der Interpreten angedeutet.

„Spiel im Spiel“ von Ceren Oran: Tanz: Jihun Choi, Jin Lee und Máté Asbóth (v.l.n.r.)
© Christoph Gredler
Jihun Choi, Jin Lee und Máté Asbóth (v.l.n.r.), © Christoph Gredler

„Spiel im Spiel – ein Tanzstück für alle ab 3 Jahren“ ist die neunte choreografische Arbeit der kreativen Wahlmünchnerin Ceren Oran und nach ihren Bestsellern „Elephant aus dem Ei“ (2017) und „Sag Mal …“ (2019) ihr drittes Werk für die „Generation Kindergarten“. Dieses Mal hat auch ihr knapp zehnmonatiges Töchterchen quasi schon mitgeprobt: Weit unter dem Altersdurchschnitt verfolgt das Kleinkind höchst aufmerksam und animiert Szene für Szene. Einige der Requisiten und situativen Überbleibsel, die die Choreografin bislang verworfen, nicht jedoch vergessen und jetzt als Ausgangsidee wieder aktiviert hat, entlocken dem Mädchen spitze Jauchzer. Gedanklich mitzugehen, fällt hier niemandem schwer. Und kommt auf der Bühne irgendwann doch so etwas wie Langeweile auf, tummeln sich die drei Tänzer dermaßen gähnselig in einer Plastikwanne mit den Ausmaßen eines Käfigs für Meerschweinchen, dass beim Zuschauen unmöglich jemandem fade werden kann.

In Ceran Orans „Spiel im Spiel“ gibt es viele Höhepunkte. Den tollsten Vogel allerdings schießt die tänzerisch famose Jin Lee mit einem technisch beeindruckenden Solo ab. Bereits bei ihrem ersten Auftritt legt sie mit vier weißen Sneakern los. Diesen gesteht Oran später – munter ausprobiert beim Raupengang an Händen und Füßen – ein richtungswechselwildes Eigenleben zu. Das Resultat ist eine galataugliche und absolut altersfrei-geniale Nummer.