Das Georgische Staatsballett gastierte zum ersten Mal in Deutschland •
von Angela REINHARDT
Seit Frühjahr 2022 kommen keine russischen Kompanien oder Tänzer mehr nach Deutschland, oder sie sind dem Namen nach plötzlich zum „Grand Classic Ballet“ geworden. In Forum am Schlosspark in Ludwigsburg war jetzt ein „Schwanensee“ in russischer Tradition zu sehen: Zum ersten Mal überhaupt gastierte das Georgische Staatsballett aus Tiflis in Deutschland, der einstige Sowjetstaat im Kaukasus ist seit 1991 unabhängig. Die Kompanie, nicht zu verwechseln mit dem Georgischen Nationalballett Sukhishvili, das den hochvirtuosen georgischen Volkstanz auf Zehenspitzen und Knien zeigt, wird seit 2004 von der ehemaligen Starballerina Nino Ananiashvili geleitet, einst eine der funkelndsten Kitris und häufiger Gaststar in New York oder London.
Genau wie die „Schwanensee“-Versionen des Mariinsky- oder Bolschoi-Balletts sieht auch die georgische Fassung ein wenig altmodisch aus für unsere mitteleuropäischen Augen, die durch Erzähler wie John Cranko und John Neumeier oder wesentlich modernere Choreografen beeinflusst wurden; Rudolf Nurejews Inszenierung dürfte ihr noch am nächsten kommen. Getanzt wurde zu einer anfangs arg scheppernden Musikaufnahme, die atemlos von Szene zu Szene eilte, und in einer Fassung des ehemaligen Bolschoi-Stars Alexei Fadeyechev. Er hat in Tiflis praktisch sämtliche Klassiker inszeniert, allein oder gemeinsam mit der Direktorin. Der Sohn des großen Tänzers Nikolai Fadeyechev bringt wahrlich genügend Erfahrung mit den Klassikern mit, zwei Jahre lang hatte er auch das Bolschoi-Ballett geleitet, in der Zeit der vielen Wechsel nach Juri Grigorowitsch. Ob es an der Tourneeversion liegen mag, dass dieser „Schwanensee“ etwas kurz und knapp wirkte? Die Kompanie kam aus Italien, wo sie in mehreren Städten gastierte, im Sommer gehen sie mit „Schwanensee“ auch nach London.
Überhaupt nicht nach Tourneeversion sah die Ausstattung von Vyacheslav Okunev aus, mit zahlreichen, aufwendigen Kostümen und jenen altmodischen, gemalten und sich gestaffelt nach hinten verengenden Kulissen, die man hier kaum mehr kennt. Wobei die Szene am See durch verzweigte Bäume, auf denen silbrig das Mondlicht glitzerte, besonders romantisch ausfiel, auch der Saal im Schloss sah wahrlich nach Ritterburg aus. In den weißen Akten blieb Fadeyechev den überlieferten Fassungen treu, nur in den Gesellschaftsakten gab es kleine Änderungen. Wie in den tradierten russischen Inszenierungen wurde das Fest im ersten Akt mit ein großem Pas de trois gefeiert, angeführt von Benno, dem Freund des Prinzen, der eigentlich in den sowjetischen Fassungen weitgehend verschwunden war. Hier tanzte der hochvirtuose Kaito Hosaya mit Mariam Eloshvili und Nini Khakhutashvili, alle zeigten exquisite Variationen und hohe Sprünge. Nicht ganz so berückend war das Herren-Corps in Form, dafür schwebten die 24 Schwäne mit jenem Berufsethos einher, das man von jeder niveauvollen klassisch-akademischen Kompanie erwartet.
Einen schönen Moment hatte Fadeyechev bei der ersten Konfrontation des Prinzen mit Odette eingebaut: einen fast schon zu langen, tiefen Blick in die Augen. Ansonsten folgten Choreografie und Tänzer dem zeremoniellen Ablauf, mit vorbildlich gestreckten Beinen allüberall, jedoch in den weißen Akten nicht ganz so lyrisch wie beim Mariinsky und im schwarzen Pas de deux nicht ganz so feurig wie beim Bolschoi. In der Doppelrolle Odette/Odile erwies sich Nino Samadashvili eher als der stabile, zuverlässige Ballerinentyp. Ihre 32 Fouettés drehte sie mühelos, ihre Arme waren schön und doch nicht von jener exquisiten Lyrik der großen, elegischen Schwanenprinzessinnen. Auch ihr Siegfried alias Daler Zaparov lief erst im dritten Akt zu großer Form auf, bei all seiner schönen, sauberen Technik blieb er ein wenig erdenschwer. Die stilvollen Nationaltänze, es waren nur drei an der Zahl, wurden vom Auftritt des Zauberers mit seiner Tochter unterbrochen, die hier scheinbar die spanischen Tänzer mitbrachten, was mit deren feurig-dunklem Auftritt erstaunlich gut passte. Noch einmal gab es perfekten Charaktertanz zu bewundern, die beiden Damen neigten sich mit ihren Fächern rückwärts fast bis zum Boden hinunter. Danach kamen gleich sechs Bräute, die leider alle exakt gleich aussahen – kein Wunder, dass der Prinz Odile als einzig individuelle Bewerberin auswählte.
Mit feinem Handwerk arrangierte Alexei Fadeyechev im vierten Akt unterschiedlichste Architekturen der Schwanenschar, gegeneinander versetzt oder in wechselnden, stets exakt getanzten Formen und Linien. Ganz nach sowjetischer Tradition war es ein „Schwanensee“ mit Happy End – der Prinz und Rotbart kämpften tanzend, bis die dichte Gruppe von Schwanenmädchen auseinanderstiebte und auf der weiten Bühne eine einsame Gestalt im schlichten Kleid dalag, ohne Tutu: die erlöste, zur Frau gewordene Odette. Ihre Schwäne wurden nicht erlöst – trotzdem schön, wenn das Märchen mal gut ausgeht.