„Afternoon of a Faun“ Foto Jorg Wiesner
Kritiken

Norwegisches Nationalballett: „Faun/Boléro“

Eine Verdi-Arie gleich zu Beginn. Wenig später ein Schubert-Impromptu. Beim „Afternoon of a Faun“ von Whitney Jensen und Anais Touret ist alles anders. Das Vorspiel zu Debussys „Prélude à l’Après-midi d’un faune“ stammt aus dem „Zauberberg“-Musikalbum von Kassel Jaeger, Stephan Mathieu und Akira Rabelais, und das stimmt uns eigentlich ein auf Thomas Mann, der in dem Kapitel „Fülle des Wohllauts“ tatsächlich eingehend das einstige Skandalwerk bespricht. Auf der Bühne der Norwegischen Nationaloper lässt allenfalls eine Schräge die Schweizer Alpen ahnen, aber auch der Faun bleibt bei der Aufführung ausgesperrt. Gezeigt wird eher die Lebens- und Leidensgeschichte eines jungen Mädchens, erscheint bleibt. Erika Pastel ist dieses Mädchen, und sie verkörpert es wunderschön mit embryonalen Butoh-Bewegungen, die viel Einfühlungsvermögen der beiden Choreografinnen erkennen lassen. Viel Raum hat sie allerdings nicht, nur ein sandiges Eiland, auf das sich die junge Tänzerin aus Martinique am Ende zurück zieht. Dazwischen fühlt sie sich im konkreten wie übertragenen Sinne angezogen von einer Mutterfigur. Ein Mann taucht auf, möglicherweise der Vater. Und natürlich ein Junge in roten Hosen, der noch am ehesten an den Faun des Originals denken lässt. Er jedenfalls weckt ihre Neugier, ein vorsichtiges Verlangen, das von dem Mann insofern erwidert wird, als er sich einstimmt auf ihre Choreografie, sie schließlich sogar doppelt.

„Afternoon of a Faun“ Foto Jorg Wiesner
„A Boléro“ Foto Jorg Wiesner

All das ist immer schön anzuschauen, wenn auch nicht so aussagekräftig, wie man sich das erwünscht hätte. Kaum verständlich wird eine bedrohliche, sehr rhythmisch geführte Gruppe, die sich aber alsbald im Dunkel der Bühne wieder verkrümelt. Zurück bleibt das Mädchen auf dem kleinen Fleckchen Erde, das ihr als Rückzugsort verblieben ist. Der Mann, der am Ende ihres Traumspiels wieder auftaucht: Ist das etwa der Tod?

Es ist nicht die einzige Frage, die ohne Antwort bleibt. Beide, das französische und das amerikanische Ensemblemitglied des Norwegischen Nationalballetts, stehen noch am Anfang ihrer choreografischen Karriere, selbst wenn sie bereits mit kleineren Talentproben auf sich aufmerksam gemacht haben. Da kann jede Förderung sinnvoll sein. Wie Samantha Lynch gehören beide denn auch seit letztem Jahr einer kleinen Workshop-Kompanie an, deren Ziel es ist, das Bestmögliche aus ihrer jeweiligen Begabung herauszuholen.

„A Boléro“ Fotos Jorg Wiesner

Dass das trotz optimaler Arbeitsbedingungen nicht so ganz einfach ist, zeigen beide Beispiele, die als Premieren auf der großen Bühne aufgeführt wurden. Als Stream lassen sich nun im weltweiten Film diskutieren. Wie beim „Afternoon“ beeindrucken auch bei „A Boléro“ von Samantha Lynch zwar immer schöne Bewegungsbilder. Auffallend sind choreografische Details. Aber dem Ganzen fehlt eben doch am Ende eine musikdramatische Zielsetzung. Schließlich hat Maurice Ravel hat seinen „Boléro“ als ein einziges Musik-Crescendo angelegt, und dem gilt es auf irgendeine Weise zu entsprechen. Douwe Dekkers gibt hier den Jack in the Box. Sein Freiheitsdrang ist allerdings nie so übermächtig, dass er Wände sprengen könnte. Dabei hätte Dekkers durchaus das Zeug dazu. Vielmehr kehrt er zwischendurch immer wieder in seinen Käfig zurück, in der Emma Lloyd anfangs gänzlich unbewegt verharrt. Welche Rolle sie in dem Duo spielt, wird einem nicht so recht klar. Beider Beziehung intensiviert sich nicht wirklich, und deshalb bleibt der Kopfstand am Anfang und Ende nichts anderes als ein Effekt

Hartmut Regitz

Bis 7. April: www.operaen.no