Christian Spuck präsentiert seine letzte große Produktion, bevor er nach 10 erfolgreichen Jahren am Opernhaus Zürich nach Berlin geht. „Monteverdi“ – ein Ballett sollte man das nicht nennen – ist ein spartenübergreifender Musiktheater-Abend, eine Liebeserklärung an den Liebesschmerz, italienische Musik von Claudio Monteverdi und Adriano Celentano – und an eine allumfassende Melancholie, die keine kulturellen, sprachlichen und zeitlichen Grenzen kennt.
Indem Spuck erneut Sänger*innen und Tänzer*innen auf der Bühne vereint, knüpft er an seine preisgekrönten Produktionen wie Schuberts „Winterreise“, Verdis „Messa da Requiem“ und Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ an und er zieht die Ästhetik von kahlem Bühnenraum (Rufus Didwiszus) und opulenten Kostümen (Emma Ryott) konsequent durch. Nach Spucks gefeierter „Poppea/Poppea“ für Gauthier Dance 2010 in Stuttgart beschäftigt er sich wieder mit frühbarocker Musik von Monteverdi, dem Vater der Oper. Das passt zum Opernhaus Zürich. Denn dieses schrieb Musiktheatergeschichte mit Nikolaus Harnoncourts legendärem Monteverdi-Zyklus (1975-1979), dem Beginn der Wiederentdeckung Monteverdis, der „Alten Musik“ und der historisch informierten Aufführungspraxis. Ein halbes Jahrhundert später steht Riccardo Minasi am Pult, das Orchestra La Scintilla, dessen Leitung er übernommen hat, dirigierend und die erste Geige spielend.

Einsame Menschen in einem leeren Raum, der Lockdown sitzt noch in den Knochen, Theater nach dem Theater? Ein antiquiertes Tonbandgerät, vereinzelte Stühle, eine Referenz an Pina Bauschs „Café Müller“? Während die Sänger mehrheitlich sitzend singen und süß klagen, entspinnt sich auf der Ebene des Tanzes ein feines Netz an Begegnungen und stets fließenden Bewegungen. Töne, schon verklungen, hallen in innigen Pas de Deux’ nach. Man sieht die Melancholie, man hört und versteht sie.

Christian Spuck hat seine „Lieblingssongs“ aus dem siebten und achten Madrigalbuch ausgewählt: klagende Arien und Minidramen. Er erzählt diese aber nicht, illustriert sie auch nicht, sondern sucht nach einer tänzerischen Abstraktion der musikalischen Fragmente – mit der ganzen Company. Groß angelegte Ensemble-Szenen wechseln sich mit solistischen Einlagen ab, stets präsent ist ein Tänzer in einer Ritterrüstung, ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, aber dennoch die Starre, das Blockiert-Sein in unserer turbulenten und explosiven Gegenwart, symbolisierend. Als Kontrast zu der süßen Schwere der Monteverdi-Madrigale setzt Spuck auf italienische Gassenhauer aus den 70ern: „Azzurro“ ab Tonband, ein bisschen Heiterkeit blitzt auf, geht aber schnell wieder unter, zumal die dramaturgische Struktur zu offensichtlich und repetitiv ist.

Dennoch gibt es schöne Momente. Beim „Lamento della Ninfa“, opernhaft gesungen von Lauren Fagan und hinreißend getanzt von Michelle Willems, breitet sich eine Spannung im Raum aus, die greifbar ist. Der spannendsten Solistin des Ballett Zürich gelingt es auch, den tragischen Erzählkern von „Il combattimento die Tancredi e Clorinda“ zu vermitteln: Zwei Liebende schlachten sich ab, weil sie sich unter ihrer Rüstung nicht resp. zu spät erkennen. Man hört das Galoppieren von Pferden, das Geklirr von Schwertern aus dem Orchestergraben – unglaublich, was Monteverdi da komponiert hat und wie es Riccardo Minasi musikalisch interpretiert! – und hängt den Sänger/innen an den Lippen, erfasst jede Bewegung und jede Emotion von Michelle Willems und Lucas Valente.


Christian Spuck kann erzählen und er weiß sein hervorragendes Ensemble gut in Szene zu setzen, vor allem wenn da noch so großartige Kostüme von Emma Ryott mit im Spiel sind. Diese Künstlerin schafft es immer wieder, nicht nur Farbtupfer zu setzen, sondern Boden, Volumen und Glamour zu schaffen.
Evelyn Klöti