Wie groß die Sehnsucht nach Schönheit und Ausgelassenheit ist, offenbarte die diesjährige Let´s Dance-Staffel auf RTL. Zeigten sich in den vergangenen Jahren Ermüdungserscheinungen bei dieser Sendereihe, die mangelndes Tanzvermögen der Kandidaten immer mehr mit bombastischen Showelementen aufmotzte und zu einer Als-ob-Veranstaltung ohne tänzerischen Mehrwert mutierte, so änderte sich in Zeiten eines Corona-bedingten Lockdowns nun Grundlegendes.
Die Freude an der Bewegung erfasste nicht nur das TV-Publikum, das dem Sender Einschaltquoten wie in der Anfangszeit bescherte. Die Freude, sich bewegen zu dürfen, erfasste auch die Let´s dance- Kandidaten, die ein bisher nie gesehenes Niveau an den Tag legten.

Alle Fotos TVNOW / Stefan Gregorowius
Bereits der erste Tango, den die Siegerin Lili Paul-Roncalli mit ihrem Profipartner Massimo Sinato präsentierte, hätte in vorherigen Staffeln zum Sieg gereicht. Dabei war es lediglich die erste Sendung… Dass nach vier Jahren nun wieder einmal eine Frau sich den Titel „Dancing Star“ verdiente, war auch insofern gerechtfertigt, als es gleich drei phänomenal starke Herren gab, die sich mit ihr ein unglaublich enges Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten. Sportkletterer Moritz Hans mit Partnerin Renata Lusin bewies im Finale Nerven wie Drahtseile und wurde – bei gleicher Jury-Höchstpunktzahl wie Lili – nach Publikumsentscheid Zweiter. Dem Schweizer Sänger Luca Hänni an der Seite von Profi-Partnerin Christina Luft dagegen, der sich mit Top-Darbietungen in die Herzen der Zuschauer getanzt hatte, wurde seine Anfangs-Nervosität zum Verhängnis. So blieb ihm nur der dritte Platz. Der dritte Herr, Tijan Njie, war bereits mit einer sehr knappen Entscheidung im Halbfinale ausgefallen – nachdem er mit Partnerin Kathrin Menzinger einen überwältigend künstlerischen Contemporary aufs Parkett zauberte.


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So einschneidend es auch schien, dass kein Publikum mehr zugelassen war, um die Paare anzufeuern – die Intimität und Intensivität des Tanzens kam mehr zum Vorschein als je zuvor. Die sich immer als „Let´s Dance“-Familie bezeichnende Truppe ist wirklich verschmolzen zu einem Ensemble der Privilegierten, die als Einzige, während die Welt um sie herum stillstand, die Chance hatten, in das Tanzen einzutauchen. Und sie taten das so intensiv, dass sie diesmal wirklich zum Kern von Tanzen vorgestoßen sind, wo es nicht darum geht, die richtigen Schritte zu absolvieren, sondern Gefühle auszudrücken und Tanzen als Medium zu sehen. Sogar die Professionals wurden von diesem Geist so angesteckt, dass sie insgeheim auch miteinander konkurrierten – so, als wäre „Let´s dance“ eine wirkliche Turnier-Situation.

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Solche Best-Leistungen sind es, die jedermann begeistern und bezaubern. Noch nie wurden so hohe Punktzahlen vergeben. Noch nie hat es die Juroren so oft vom Stuhl gerissen – einschließlich dem gestrengen Joachim Llambi. Noch nie wurde profunder kritisiert. So präsentiert, konnte Tanzen seine mitreißende kulturelle Relevanz entfalten. Der technische Bombast deckte nichts mehr zu, sondern diente als Kulisse für Tanz-Inszenierungen, die neben tragischen Geschichten hauptsächlich ein Ziel hatten: Lebensfreude zu vermitteln. Und das ist genau jenes aufbauende Element, das wir nicht nur in Zeiten von Corona brauchen.
Ute Fischbach-Kirchgraber