Kritiken

Klaus Geitels Tanzkritiken „man ist kühn genug, um unmodern zu sein“, 1959–1979

Wenn er lobte, konnte das folgendermaßen klingen: „Das Ganze aber ist so feurig zusammengeschweißt, schießt wie eine Stichflamme auf und wird mit ebensoviel Können wie virilem Charme ausgestreut …“ (S. 223). Und falls ihm etwas nicht gefiel, attestierte er dem Tanz mitunter, dass er „nach Biederkeit“ schmecke oder geneigt sei, „sich künstlerisch zu verbiestern“ (S. 171).
Klaus Geitel schrieb über Ballett und Tanz, wie niemand sonst, er zog abenteuerliche Metaphern heran und nutzte ungewöhnliche Vokabeln. Mit ihm starb auch eine bestimmte Form von Tanzkritik. Umso wichtiger, dass der Henschel Verlag in diesem Jahr einen Band mit einer Auswahl seiner Zeitungsartikel aus zwanzig Jahren veröffentlicht, denn so hat man seine ungewöhnlich lebendige und reiche Sprache beim Lesen wieder im Ohr – der Kurzlebigkeit von Tageszeitungen zum Trotz.

„Er kannte Gott und schrieb für die Welt“ betitelt Frank-Manuel Peter sein ausführliches Vorwort. Er (das Deutsche Tanzarchiv Köln/die SK Stiftung Kultur) und Klaus Geitels Erbe, sein Adoptivsohn und Lebenspartner Rodney Geitel-Bautista, fungieren als Herausgeber. „Ausgewählte Tanz- und Ballettkritiken aus den Jahren 1959–1979“ sind hier auf 275 Seiten versammelt, neben einem 23-seitigen Gespräch aus dem Jahr 2003 sowie einem editorischen Nachwort.
Klaus Geitels Texte sind eine eigene Kunstform. Damals noch als Besprechungen in der Rubrik Feuilleton beheimatet – auch sie ist heute teilweise ausgestorben –, durfte sich Klaus Geitel in der Tageszeitung beneidenswert ausbreiten, was ihn keineswegs daran hinderte, ebenso in die Tiefe zu gehen. Nicht ausschließlich Kritiken sind im Buch gebündelt, auch schriftliches Nachdenken über Mißstände oder Nachrufe sind nachzulesen.

Nicht nur die Texte, auch die Gastspiele waren damals offenbar deutlich länger als heute, so gastierte beispielsweise Maurice Béjart mit seiner Truppe ganze 40 Tage lang in Berlin, wie Klaus Geitel am 15. Januar 1959 berichtete. An die Anfänge des Nederlands Dans Theater wird ebenso erinnert wie an die letzten Auftritte Dore Hoyers. Über die annähernd 70-jährige Martha Graham, deren Abgang von der Bühne längst überfällig gewesen sei, schreibt er anlässlich eines Gastspiels 1962, sie gleiche „einem erloschenen Vulkan“, markiere Tanz nur noch anstatt zu tanzen, und ihre Auftritte seien „gespenstisch“ und „leider auch peinlich.“ (S. 135) Niemand konnte derart geistreich, originell und humorvoll über Tanz und Ballett schreiben, meist in einem lockeren Plauderton, als vermittle er seine Eindrücke einem guten Freund. Der moderne Tanz schneidet indes unter dem Strich schlechter ab als das Ballett, dem er seit seiner Jugend zugetan war. Mitunter ließ sich Klaus Geitel auch über die Kostümierung der Tanzenden aus, sofern auffällig: „In Kittelchen, Trägerröckchen und anderen Diminutiven der Textilindustrie wird strampelnd getollt;“ (S. 151).    Mein Lieblingszitat aus dem insgesamt 336 umfassenden Taschenbuch: „Der Wurm in drin in diesem Ballett, aber er macht von Zeit zu Zeit ganz hübsch Männchen. Dem applaudierten die einen. Die anderen sahen nichts als den Wurm.“ Die umfangreiche Sammlung von Klaus Geitels Texten ist wurmfrei, lesenswert und sehr unterhaltsam.

Dagmar Ellen Fischer