Von Viola Gräfenstein
Die neue Direktion der Compagnie Ballett am Rhein Düsseldorf und Duisburg mit Ballettdirektorin Bridget Breiner und Raphael Coumes-Marquet haben einen fulminanten zweiten Ballettabend mit angesagten Choreografen in Düsseldorf präsentiert. Der Ballettabend begeisterte das Publikum mit rasanten Bewegungen, vielseitigen Elementen und durchgehend pulsierender Musik auf hohem technischem Niveau.
Vier Choreografen zeigten Stücke, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. In Kaleidoskop darf alles sein. Hier drehen sich kleine bunte Stücke ineinander, bilden neue Muster, zerfallen, bis sie wieder zu etwas ganz Neuem werden. Jede Drehung ergibt eine neue Anordnung und interessante Perspektiven, so auch an diesem Abend.
Mit seiner Uraufführung „Moto perpetuo“, übersetzt mit „Ständige Bewegung“ eröffnete das Duo Iratxe Ansa und Igor Bacovich den Ballettabend. Das erste Stück steht genau für diese Veränderung und Vergänglichkeit. Es ist das kraftvollste aller drei Stücke an diesem Abend, der nicht nur rasante Bewegungen, sondern anspruchsvolle Symmetrien, Haltefiguren und Positionen zeigt. Alles bewegt sich dabei in einem Kreis.
Iratxe Ansa & Igor Bacovich „Moto perpetuo“: Elisabeth Vincenti, Rafael Vedra, Norma Magalhães, Alejandro Azorín, Phoebe Kilminster, Joan Ivars Ribes, Yoav Bosidan, Dukin Seo © Altin Kaftira
Auf der Bühne sitzt ein Tänzer verloren auf dem Boden vor einer hohen Steinwand. Das Licht erfasst ihn. Der Tänzer wirkt wartend, hoffnungslos, suchend. Die Bühne füllt sich abwechselnd mit Paaren in metallfarbenen Trikots. Die Kostüme von Stefanie C. Salm unterstreichen das Kraftvolle der Tänzerinnen und Tänzer, die an Amazonen und gefangene Sklaven hinter Mauern erinnern.
Langsam fängt die Bühne an, sich zu drehen. Die Steinwände drehen sich mit, Türen öffnen sich, wechseln die Anordnung, drehen sich ineinander. Die Tänzerinnen und Tänzer folgen dem rasanten, pulsierenden Rhythmus. Kraft und Spannung halten das Publikum im Bann. Die Arabesquen und Arme der Tanzenden wirken wie symmetrische Speerspitzen und Lanzen. Die grauen und rostfarbenen zehn mal vier Meter hohen Wände, für die der Objektkünstler Richard Serra Pate stand, wirken, als würden sie rücksichtslos über die Menschen hinweggleiten. Im letzten Moment entkommen sie der schweren Walze aus Wänden.
Die Tänzerinnen und Tänzer klammern sich aneinander, drücken diejenigen, die aus der Gruppe ausbrechen wollen, an die Wand und stemmen sie in einem rasanten Tempo nach oben. Die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer zu der Musik von Domenico Melchiorre und der 3. Sinfonie von Philipp Glass sind eckig, langgestreckt und kraftvoll. Sie folgen dem Keis, spannen und biegen ihre Körper wie Bögen und schaffen es kaum, sich voneinander zu lösen. Geht eine Tür auf, schließt sich eine andere wieder. Menschen begegnen sich, stürzen aufeinander zu oder verschwinden wieder durch eine andere Tür. Am Ende bleibt der Tänzer Márcio Mota wieder auf der Erde sitzend allein zurück.
Für das Stück und die Compagnie, bestehend aus Alejandro Azorín, Yoav Bosidan, Joan Ivars Ribes, Phoebe Kilminster, Norma Magalhaes, Skyler Maxey-Wert, Dukin Seo, Rafael Vedra und Elisabeth Vincenti, gab es Bravorufe und minutenlangen Applaus. Zurecht, denn „Moto perpetuo“ ist ein kleines Meisterwerk voller musikalischer und tänzerischer Herausforderungen für die internationale Compagnie, die die Energie, Technik und Spannung bis zum Schluss durchhält.
Mthuthuzeli November „Invocation“: João Miranda, Ensemble Ballett am Rhein © Altin Kaftira
Mthuthuzeli November „Invocation“: Nelson López Garlo, Eric White, Lotte James, Doris Becker, Long Zou (hinten), João Miranda, Camilla Agraso, Clara Nougué-Cazenave, Pedro Maricato, Niklas Jendrics © Altin Kaftira
Auch das zweite Ballettstück „Invocation“ des südafrikanischen Choreografen Mthuthuzeli November ist an diesem Abend eine Uraufführung und etwas ganz Besonderes. Der Choreograf nimmt die Zuschauer mit in sein Heimatland Südafrika. Sein Stück soll an ein Kindheitserlebnis erinnern, in dem es um eine rituelle Zeremonie mit seinem Vater ging. Ein Dach aus Schilf, das eine Hütte symbolisiert, hängt über einem Tänzer, getanzt von Long Zou, der anfängt, auf der Bühne zu stampfen und seine Arme nach oben zu heben und, wie in einer Zeremonie, eine göttliche Kraft anzurufen. Sein Körper windet und dreht sich energetisch und rhythmisch zu den Takten der Musik, die von Alex Wilson stammt. Seine langen, schwarzen Haare, die herumwirbeln, unterstreichen seine Unbändigkeit, aber auch seine Suche. Immer mehr Tänzerinnen und Tänzer gruppieren sich um den Tanzenden herum und feuern ihn, wie bei einem Ritual, an. Die Gruppe, verkörpert von Camilla Agraso, Doris Becker, Lotte James, Niklas Jendrics, Nelson Lopez Garlo, Pedro Maricato, Clara Nougué-Cazenave und Eric White, steht für eine schutz- und kraftgebende Gemeinschaft.
Plötzlich erscheint ein verkleideter Mensch, getanzt von João Miranda, in einem Fransenkostüm auf der Bühne, der an einen Schamanen erinnert. Nach einer langen Zeremonie wirft der Schamane sein Kostüm ab und der Tanzende zieht es sich über. Es sind nur noch Trommeln und Gesang zu hören. Das Stück zeigt Ursprüngliches, gepaart mit großer Energie und erhält stürmischen Beifall vom Publikum.
Jean-Christophe Maillot „Vers un Pays Sage“: Orazio Di Bella, Vinícius Vieira, Lucas Erni, Olgert Collaku © Altin Kaftira
Jean-Christophe Maillot „Vers un Pays Sage“: Emilia Peredo Aguirre, Ako Sago, Francesca Berruto, Elisabeth Vincenti © Altin Kaftira
Zum Schluss wird es sanfter, doch nicht leiser. Jean-Christophe Maillot hat mit “Vers un pays sage” von 1995 weitere, kleine Edelsteinmomente in sommerlichen Pastellfarben choreographiert, bei dem er sowohl klassische als auch moderne Elemente einsetzt, die harmonisch zusammenwirken und von Lebenslust zeugen. Getrieben von der rasanten, energievollen Musik in John Adams’ „Fearful Symmetries“, sind auch hier Tänzerinnen und Tänzer in ständiger Bewegung und feiern einen energiegeladenen Dialog zwischen Spitzentanz und Moderne. Das Stück passt mit seiner wechselnden Farbenpracht zum Titel des Ballettabends „Kaleidoskop“. Auch hier wieder ein rasantes Tempo, dem die zwölf Tänzerinnen und Tänzer, als Solistenpaar, Sophie Martin und Skyler Maxey-Wert, gefolgt von Nami Ito und Lucas Erni, Emilia Peredo Aguirre und Damian Torío, Elisabeth Vincenti mit Olgert Collaku, Ako Sago mit Orazio Di Bella sowie Francesca Berruto mit Vinícius Vieira, mit höchster Präzision, kraftvollem Ausdruck und Leichtigkeit folgen. Das Licht wechselt im Minutentakt und erinnert an eine südfranzösische Sommerlandschaft, die alle Farben eines Aquarells abbilden. Die weißen Balletttrikots wirken wie eine Leinwand, auf die das Licht für tänzerische Figuren und Bilder geworfen wird. Wie Vögel, Fische, frisch Verliebte, die sich begegnen, flirten, sich gegenseitig auf dem Rücken tragen, über die Bühne ziehen und dann wieder auseinandergehen, verkörpern die Tänzer Lebensfreude pur. Maillot, der Sohn des Malers Jean Maillot, widmete das Stück seinem verstorbenen Vater und erinnert mit dem Titel des Balletts an den Namen eines seiner 260 Gemälde. Das dritte Ballettstück „Vers un pays sage“ scheint wie eine Hommage an das Leben und die Lebensfreude. Das Publikum belohnte den zeitgenössischen, abwechslungsreichen Ballettabend „Kaleidoskop“ zurecht mit langanhaltendem Beifall.