Carlos Acosta in "Yuli" Foto © Icíar Bollaín
Kritiken

Filmstart „Yuli“ – ab 17.1.2019

Schon die Autobiografie „Kein Weg zurück“ widmete Ballettstar Carlos Acosta seinem 2012 verstorbenen Vater Pedro. Dessen Großmutter musste sich noch als Sklavin auf einer kubanischen Zuckerrohrplantage namens Acosta verdingen. Der jüngste Spross einer gemischtfarbigen Patchwork-Familie sollte es dagegen zu Weltruhm bringen. Als Anhänger der afrokubanischen Santería gab ihm der Papa – die Kräfte der Kriegsgötter beschwörend – den Namen Yuli (Sohn des Ogún).

Nun treffen Vater und Sohn in dem gleichnamigen Biopic der spanischen Regisseurin Icíar Bollaín und ihres findigen Drehbuchpartners Paul Laverty einmal mehr aufeinander. Beide verbindet eine starke Beziehung aus Liebe und Hass. Der einfache LKW-Fahrer erkennt, welches Talent sein ungestümer Junge auf den Vorortstraßen von Havanna verschleudert und zwingt ihm die beste, staatlich geförderte Ballettausbildung auf. Als Yuli wegen Disziplinlosigkeit rausgeschmissen wird muss er nach Pinar del Río ins Tanzinternat. Ohne Pedros erbarmungslose Strenge, die der 2006 mit dem Nationalen Ballettpreis Kubas ausgezeichnete Schauspieler Santiago Alfonso ebenso berührend wie beängstigend intensiv darstellt, wäre aus dem rebellisch-eigenwilligen Kind Yuli (allein schon das Filmdebüt des 10-jährigen Edison Manuel Olbera Nuñez lohnt den Besuch!) Jahre später niemals der legendäre erste schwarze Principal des Royal Ballett in London geworden. Vorbild für viele, die heute in großen Ensembles überall das Publikum begeistern. Beim Bayerischen Staatsballett in München derzeit: der fantastische, aus Kuba stammende Erste Solist Osiel Gouneo.

Erzählt wird in Rückblenden, aus einer fiktiven Gegenwart heraus. Darin spielt – was aber nur ein Teil des Ganzen ist – Carlos Acosta sich selbst. Im Gran Teatro de La Habana – dem prächtigen Großen Theater von Havanna, das Heimstätte des Ballet Nacional de Cuba und des Opernensembles des Teatro Lírico Nacional de Cuba ist – erarbeitet er unter dem Titel „Yuli“ ein Tanzstück über sein Leben. Inspiriert durch die vom Vater in einer roten Mappe gesammelten Dokumente seiner Karriere. Und weil der heute 46-Jährige Tänzer und Choreograf seit 2015 erfolgreich seine eigene Kompanie Acosta Danza leitet, bringen sich auch diese jungen Tänzer in den Film ein. Keyvin Martínez übernimmt nach dem Goldmedaillensieg Acostas beim renommierten Prix de Lausanne 1990 – freilich wird der Originalmitschnitt eingebaut – die Rolle des jungen Rising Star, der nach einer Knöchelverletzung zurück in Kuba beinahe doch noch das Handtuch wirft. Impulsiv und sehr eindrücklich wird Yulis Figur in allen Tanzszenen von Mario Sergio Elías interpretiert. Geschickt spiegelt sich so die Emotionalität von Ambivalenz, Einsamkeit und rasant wachsendem Erfolg in der Fremde in einem Work-in-progress-Ambiente – dank kurzer, prägnanter Choreografien der Katalanin María Rovira.

Filmplakat „Yuli“ Foto © Icíar Bollaín

Haften bleibt vor allem eine Sequenz: Acosta tanzt den eigenen Vater. Quergeschnitten zu den Filmbildern, in denen nur die entsetzten Geschwister zu sehen sind, schlägt er mit einem Gürtel auf seinen Pas-de-deux-Partner ein, bis ihn die Tränen überwältigen. An diesen Moment käme keine noch so gute Spielszene heran. Wenn am Ende nach einem ausdruckstiefen, in emotionalen Worten gipfelnden Solo Acostas die Werbefahnen zum Ballett „Yuli“ am Gran Teatro von Havanna im Wind flattern, wird klar, dass sich hier – ganz nebenbei – ein Nachfolger für die 99-jährige Ballettdirektorin Alicia Alonso recht clever in Position bringt. Lobenswert: Acostas ehrgeiziger Wunsch, die Tanzkunst auf Kuba weiter Richtung Zukunft führen zu wollen. Im Film klingt dies immer wieder an. Das Zeug dazu hat er jedenfalls.

Zugleich spiegeln die Einblicke in Acostas Familie – ein Teil der mütterlichen Seite wandert nach Miami aus – Kubas besondere Geschichte und die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse der vergangenen 40 Jahre wider. Die filmische Aufarbeitung von Acostas bewegtem Karriereweg wird dadurch auch zu einem tollen Kubastreifen à la „Kubanisch Reisen“ aus dem Jahr 2000. Der besondere Clou jetzt ist die Schauspiel und Choreografie, Spiel- und Tanzszenen miteinander verschränkende Vielschichtigkeit. Gewiss kommen Ballett-, Kuba- und Filmfans in „Yuli“ gleichermaßen auf ihre Kosten. Denn nach wie vor können klassische und moderne Tanzkunst noch Rückenwind vertragen.

Vesna Mlakar