von Vesna MLAKAR
Es gibt Schicksale, die lassen niemanden kalt. Doch selten hat jemand den eigenen Schmerz und seine Leidenschaft für das Leben dermaßen autobiografisch eindrücklich für die Nachwelt in Bildern festgehalten wie Frida Kahlo. Hier gerät die Malerin selbst zur Ikone und das eigenwillig-überbordende ihrer Persönlichkeit zum Symbol für pure, explosive Vitalität. Wo immer es Werke der wohl berühmtesten lateinamerikanischen Künstlerin zu sehen gibt, sind sie weltweit ein Publikumsmagnet. Ihre Geschichte wurde verfilmt und schon des Öfteren choreografisch verarbeitet – szenisch am radikalsten wohl durch Johann Kresnik, dessen Tanztheater-Version vor 13 Jahren im Münchner Prinzregententheater zu erleben war.
Genauso lange liegt die Uraufführung von Enrique Gasa Valgas Tanzstück „Frida Kahlo“ zurück – einer Kammerspiel-Produktion des Tiroler Landestheaters, die damals als beste Ballettproduktion der Saison 2011/12 mit dem österreichischen Musiktheaterpreis „Goldener Schikaneder“ ausgezeichnet worden ist. Anders als in Kresniks provokativem „choreografischen Theater“ werden bei Gasa Valga keine ästhetischen Grenzen gesprengt. Dem Zuschauer wird vielmehr die innere Zerrissenheit Frida Kahlos nach ihrem tragischen Busunfall und der Heirat mit dem notorisch fremdgehenden Maler-Kollegen Diego Rivera auf tänzerisch feinfühlige und nichtsdestotrotz momenthaft stark aufwühlende Weise nahegebracht – beinahe wie in einem assoziativen Rausch.
Man hört Lärm und Glas splittern. Dunkelheit verschlingt das soeben noch fröhliche Tanztreiben im Hof. Blaues Scheinwerferlicht beendet diesen ersten „gedehnten Augenblick“. Mitten auf der Bühne steht im langen roten Gewand Lara Brandi. Im Wechsel mit Pilar Fernández Sánchez interpretiert sie Frida Kahlo – besonders deren schmerzvolle, tragische Seite. Je weiter der Abend fortschreitet, desto enger lässt Valga seine beiden Kahlo-Interpretinnen miteinander verschmelzen. Pilar Fernández Sánchez – anfangs die kindlich lebenslustige Frida und junge Frau an der Seite von Diego Rivera (Gabriel Marseglia) – wird mehr und mehr zur Traumgestalt und intimen Doppelgängerin.
© Fotos: Martin Segeta
Das hat eine Sogkraft zur Folge, auf die man sich getrost einlassen darf – auch wenn das sofortige Zuordnen bestimmter Figuren wie der des Vaters (Martin Segata), des russischen Revolutionärs Leo Trotzki (Sprungwunder Mitwuro Ito) oder der Tänzerin im schwarzen Kleid als Tod (Sayumi Nishii) nicht immer ganz leichtfällt. Valga beherrscht die Kunst des „Etwas-Passieren-Lassens“ aber ganz vorzüglich. Seine Nebenfiguren führt er meist nur kurz szenisch ein, manchmal bloß im Hintergrund einer rasanten Ensemblepassage. Da lässt sich schon mal etwas übersehen. Wenig später stehen die Tänzerinnen und Tänzer dann plötzlich im Zentrum und überwältigen das Publikum, indem sie je nach Rollentypus famos springen, jazzig steppen oder ihre Hüften sanft androgyn schwingen. Der Kubaner Cosme Tablada Moreno ist eine charmante Überraschung in seiner (Travestie-)Rolle als Josephine Baker, der man eine Amour mit Kahlo nachsagt.
Als zweites Gastspiel nach Valgas „Der große Gatsby“ und seiner seit Beginn dieser Saison frei tourenden Tiroler Limonada Dance Company feierte nun die Neuauflage dieses vor allem sinnlich-emotional packenden Kahlo-Biopics Premiere im Deutschen Theater. „Gatsby“ wie „Kahlo“ ähneln sich in ihrer Machart sowie der teils flüchtigen Skizzierung von Figuren und Begebenheiten. Wie schon bei „Gatsby“ sind jetzt auch die gebürtige Boznerin Greta Marcolongo mit ihrer fantastischen Band unter der musikalischen Leitung von Roberto Tubaro (Klavier, Gitarre, Bass, Stimme) mit von der Partie und begleiten die 13 Tänzerinnen und Tänzer in „Frida Kahlo – Pasión por la Vida!“ – anders als bei der früheren Version – live auf der Bühne. Und das tun alle Musiker einfach sensationell!
Ob Mariachi-Klänge oder die Haifisch-Moritat von Brecht – Greta Marcolongo verleiht Valgas „Frida Kahlo“ in der Münchner Neufassung eine unvergessliche Eindringlichkeit. Wenn Marcolongo nicht singt, rezitiert sie Worte und Tagebuchstellen der Malerin körperlich so expressiv, dass sie den beiden Interpretinnen der choreografierten Kahlo-Rolle manchmal die Show zu stehlen droht.
Enrique Gasa Valga ist ein Meister der biografischen Tanzrevue. Einziges Manko bei seiner „Frida Kahlo“ mag die allzu deutliche Nummernhaftigkeit sein. Der rasche Fluss und stetige Schwung der Choreografie – in Kombination mit der im Deutschen Theater erstmals so omnipräsenten Live-Band – setzen inhaltlich allerdings ganz eigene, originelle Akzente.