Egon Madsen und Erich Gauthier, Foto von Regina Broke
Kritiken

„Don Q. – Eine nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit“ von Christian Spuck

Alles hat ein Ende, nur der Tanz hat keins…
„Don Q. – Eine nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit“ von Christian Spuck

Das Tänzerendspiel für Egon Madsen und Eric Gautier – Warten auf Don Q. und Dulcinea – jetzt als „The Return of Don Q.“ wieder am Theaterhaus in Stuttgart

Ja, sie sind älter geworden. Egon Madsen ist 76 Jahre alt, Eric Gauthier 41, aber der Tanz hält sie jung. So wie im Sinne des großen Theatermannes Max Reinhardt Schauspieler Menschen sind, die ihre Kindheit in die Tasche gesteckt haben um ein Leben lang weiter zu spielen, so halten es Egon Madsen und Eric Gauthier mit dem Tanz.

Und jetzt, in dieser wunderbaren „Revue über den Verlust der Wirklichkeit“, die eben genau darum so nahe an der Wirklichkeit ist?

Foto Regina Broke

Sie zanken und sie zoffen sich. Sie zaubern und zicken. Sie blödeln und trödeln. Sie warten. Sie kommen nicht weg. Sie sitzen ihr Leben gewissermaßen ab, weshalb die Stühle in dieser Revue eine bedeutende Funktion haben. Das geht bis dahin, dass sie immer wieder zum Tanzpartner werden können oder in Ermangelung eines echten dazu werden müssen.

Zwei Männer in den Räumen ihrer Sehnsüchte. Der eine, älter geworden auf seinem Weg in die Wirklichkeit, an dessen Ende der Abschied für immer steht, das Ankommen in jener Wirklichkeit, die verborgen bleibt. Der andere, der jüngere Mann, macht an der Seite des sympathischen alten Narren die wunderbare Erfahrung von der Kraft der Sehnsucht und dem großen Spaß, ein wenig nachzuhelfen, wenn es darum geht, mit ihrer Hilfe Alltag und Alter, Wahrheit und Wirklichkeit zu überwinden.

Die zwei Männer sind die Tänzer Egon Madsen und Eric Gautier. Madsen, inzwischen 76 Jahre alt, kam 1961 aus Dänemark zum Stuttgarter Ballett und gehörte unter John Crankos Leitung zu jenen begnadeten Tänzerpersönlichkeiten, mit denen die Stuttgarter die Welt eroberten. Eric Gautier kam 1996 aus Canada an das Stuttgarter Ballett wurde bald zum Solisten, für den die erste Garde der Choreografinnen und Choreografen Rollen kreierten, trat mit eigenen Choreografien hervor und arbeitet jetzt als Leiter mit der Gautier Dance Company am Theaterhaus in Stuttgart.

Foto von Regina Broke

Christian Spuck, einst Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts, jetzt Ballettdirektor in Stuttgart, schickt mit Motiven des „Don Quijote“ von Miguel de Cervantes Saavedra, seine beiden Ritter von der traurigen Gestalt auf eine letztlich ganz und gar nicht traurige Reise, die für den einen aus dem Leben heraus und für den anderen hinein führt.

Wir dürfen dabei zusehen, wenn zwei Menschen das Leben probieren, genau an jener Schnittstelle, zwischen Sein oder Nichtsein, wo es kein Entrinnen gibt. Wir dürfen schmunzeln über zwei Narren, die meinen, sie könnten mit Faxen die Zeit totschlagen, um gerade noch rechtzeitig vom Virus der Sehnsucht infiziert, tief in die Taschen ihrer schlecht sitzenden Anzüge zu greifen, Koffer und Kisten zu öffnen, fest daran zu glauben, dass die Kunst eigentlich ein Schrank ist, und das wunderbare Kinderspiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ in den unwahrscheinlichsten Bewegungen hervorzaubern.

Dabei wird immer wieder so lustvoll wie entwaffnend heiter und einfach getanzt. Dabei führt mancher Sprung übern Abgrund. Dabei diktiert der Spaß an der Nachahmung die Show der Revue, die Zitate berühmter Kollegen tauchen auf im amüsanten Quatsch der momentanen Freiheit, einmal ganz und gar nicht an die Folgen einer puren Luftnummer denken zu müssen. Leben, einfach so, das ist ein Tanz, oder ist es der Tanz, der zu leben hilft. Denn hier – ohne jemals den Zeigefinger des am Regietheater erkrankten Tanztheaters zu erheben – ganz nahe an der Oberfläche, lauert der Abgrund, beginnt die Tiefe dieses Tanzabends im Zauberladen der Gefühle in der Ausstattung von Emma Ryott.

Etwa, wenn der jüngere Mann, Eric Gautier immer wieder mit knabenhaftem Charme, die höchsten Sprünge an der Hand des behutsamen Egon Madsen wagt. Wenn Madsen mit abgewendetem Gesicht, gestützt auf Gautier, von dem gehalten und das wie im Schlaf entspannte Gesicht des jungen Tänzers an seiner Schulter ruht. Wenn der Alte den Jungen quält, wenn der Junge den Alten vorführt. Zerbrechlich und hinfällig ist das Glück dieses Abends, zusammengesucht wie die Musik mit dem Schwung der Ballettmusik von Minkus, der Melancholie eines Walzers von Schnittke, Sehnsuchts- und Einsamkeitsliedern von Schubert und Schumann und immer wieder die Schlager und ihre naiven Wahrheiten, wie im unnachahmlichen Klang von Perez Prado und seinem Orchester.

Foto von Regina Broke

In solchem Crossover der Stile haben die beiden Himmelskomiker Egon und Eric viel zärtliche Nähe zu ihren beiden Brüdern Wladimir und Estragon. Nicht nur, wenn sie die Faschingskappen aufsetzten, oder gegen die Windmühlenflügel kämpfen, die Projektion aller Sehnsüchte namens Dulcinea nur so nah ist, wie sich die Beiden selber nahe sein können.

Nach 70 Minuten dieses glücklichen Endspiels ist das Publikum glücklich. Es tobt. Da haben uns diese Narren, diese Tänzer, diese Fabulierer ein Fenster weit aufgestoßen im Horizont des Alltäglichen, da haben sie uns am Abend lachen lassen über Dinge, die uns am Tage Angst machen.

Boris Gruhl