Jean-Christophe Maillots Version des Shakespeare-Klassikers war zu Gast in Ludwigsburg
Fotos: © Alice Blangero
Früher waren sie regelmäßig auf Tour in Deutschland, aber durch die Pandemie hat man auch Les Ballets de Monte-Carlo aus dem Auge verloren. Nun gastierte die Kompanie zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder im Forum am Schlosspark in Ludwigsburg, im Gepäck die Deutsche Erstaufführung eines Werks, dessen Entstehen 2014 auf der ganzen Welt Furore machte: Jean-Christophe Maillots Version von „Der Widerspenstigen Zähmung“. Die Shakespeare-Adaption bescherte damals den „Spartacus“- und „Schwanensee“-geschulten Tänzern des Bolschoi-Balletts eine ungewohnt moderne, ungewohnt charakterstarke und vor allem ungewohnt sinnliche Erfahrung. Denn zwischen Petruchio und Katharina geht es hier hautnah zur Sache, überhaupt ist die sparsame Bekleidung, vor allem Katharinas, vielleicht der augenfälligste Unterschied zur Renaissance-verzierten, pastellbunten Stuttgarter Version von John Cranko und Ausstatterin Elizabeth Dalton, die hier in Deutschland natürlich bestens bekannt ist.
Maillot rückt den Stoff allein durch seine Musikauswahl mit seltenen Werken von Dmitri Schostakowitsch weiter in die Moderne. Im reichem Filmmusik-Oeuvre des Komponisten hat der Choreograf die stets zur Situation passenden Klänge gefunden – rasant oder pathetisch, immer wieder ironisch für die feine Gesellschaft und romantisch, ja sogar hochdramatisch für die Liebes-Pas-de-deux. Die dezent sarkastischen Schostakowitsch-Walzer sorgen schon rein musikalisch für einen perlend-verspielten Unterton des gesamten Abends. Wie so oft bleibt die Ausstattung bei Maillot hell und minimalistisch – ein paar Säulen, zwei verschiebbare Treppen und elegante, wenngleich in der Farbauswahl merkwürdige Kostüme, die sein Sohn Augustin Maillot entworfen hat. Katharina trägt eine Badeanzug-ähnliche Korsage über nackten, langen Beinen, mal mit Mantel drüber und mal ohne, das Hochzeitskleid und ein Nachmittagskostümchen ergänzen für kurze Zeit ihre Garderobe. Maillot geht anders vor als Cranko: Wo der Stuttgarter Ballettdirektor sämtliche Personen mit ihren ersten Auftritten vorstellte, mit kurzen Solos oder charakteristischen Aktionen, da lernen wir sie bei Maillot erst nach und nach kennen, vor allem die anfangs rätselhafte, eher abweisende als wütende Katharina. Sie beobachtet immer wieder aufmerksam die Menschen um sich herum, vor allem ihre dumme, kokettierende Schwester, und will eigentlich nur weg aus diesem Haus. Dennoch sieht man ihr Entsetzen, als sie realisiert, dass ihr genervter Vater sie tatsächlich durch die Hochzeit mit Petruchio abschiebt. Die Reise zu dessen Haus führt durch einen dunklen Wald, wo Petruchio ihr durch einen inszenierten Überfall Angst macht, und die starke, stolze Frau bricht schließlich zusammen – Maillots Dramaturgie changiert durchaus von der Komödie ins Psychologische.
Auch die Freier unterscheiden sich zunächst vor allem in der Kleidung. Petruchio tritt irgendwann von hinten auf und man weiß ohne Lektüre der Inhaltsangabe eigentlich nicht, wie er hier ins Geschäft kommt. Beim Balzen um die beiden verfügbaren Damen präsentieren die vier Bewerber, in einer hübsch choreografierten Nummer sogar gemeinsam, ihre Vorzüge. Hortensio (Cristian Assis) hält sich für einen Latin Lover, Gremio ist ein unangenehm gockelnder älterer Mann (Michael Grünecker spielt das schön schmierig und dreht brillante Pirouetten). Lucentio ist lieb und harmlos: Jaeyong An gibt den zuvorkommenden Danseur Noble. Natürlich ist er der netteste und Bianca, die fast zu perfekte Katrin Schrader, will nur ihn; als er ihr aber mit einem Gedichtbändchen kommt, lacht sie ihn aus. Bei aller Modernisierung gibt es einige Ähnlichkeiten zu Cranko, jede Ballettkomödie bedient sich auf ihre eigene Weise bei Pantomime und bei Slapstick – Adam Reist liefert als Petruchios Diener sehr lustige Beispiele. Auch hier schiebt Baptista seine widerspenstige Tochter, die Füße voraus, vor die drei Freier hin, auch hier purzelt Petruchio zur Hochzeit betrunken die Treppe herunter und baggert sofort alle Frauen an, genau wie bei Cranko. Das Corps de ballet spielt abwechselnd die Dienerschaft im Haus Baptista oder nachher die feine Gesellschaft, die über Katharina die Nase rümpft.
Maillot breitet nach und nach die unschönen, berechnenden Arten der ehelichen Gemeinschaft aus – eine reiche Witwe angelt sich den Angeber Hortensio, Baptistas Haushälterin hält sich, da sich ihr unentschlossener Hausherr nicht äußert, zwecks Versorgungssicherheit an Gremio, und das süße Näschen-an-Näschen-Reiben Biancas mit ihrem Liebsten ist, das sehen wir deutlich, von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Wie anders wirkt da der Kuss, den Petruchio mitten im ersten turbulenten Pas de deux Katharina auf den Mund drückt – ihre Welt steht plötzlich still. Musik, Beleuchtung und Tempo ändern sich, sie weiß nicht, wie ihr geschieht und ihre Entscheidung für den ansonsten so rüpelhaften Bewerber wird plausibel.
Der zweite Akt schildert in einer langen Szene das eigentliche Kennenlernen der beiden Außenseiter: zunächst spielt Petruchio ihr absurde Dinge vor, um sie zu irritieren, er wärmt sich etwa an einem imaginären Feuerchen. Sehr schnell steigt sie in sein Theaterspiel ein, erwidert den Spaß mit eigenen Ideen. Dann finden sie in einem langen Pas de deux körperlich Gefallen aneinander – sie bewundert den starken, wilden Kerl, er spielt mit ihrem Begehren. Schon früher zeigte Maillot gerne die Körper seiner Tänzer, Liebe entsteht bei ihm nicht im imaginären Raum, sondern sehr oft aus einer direkten, sinnlichen Begegnung. Als das Paar sich schließlich gefunden hat, unter einem dramatisch wallenden Tuch im Bett, ist alles perfekt – Francesco Mariottini ist ein Bild von einem Mann, ein großer, cooler, strahlender Optimist, während die langbeinige Alessandra Tognoloni anfangs recht streng wirkt, die langsame Wandlung Katharinas aber subtil nachvollziehbar macht. Beide tanzten am Anfang ihrer Karriere beim Stuttgarter Ballett.
Als das glückliche Paar dann zu Biancas Hochzeit kommen, spielen sie der verblüfften Gesellschaft eine vollendete Komödie vor: korrekt, elegant und gutbürgerlich. Zur Melodie des alten Schlagers „Tea for Two“, die Schostakowitsch einmal orchestriert hat, trinken alle vier Paare gemeinsam Tee – dreimal zeigt Maillot in diesem kurzen Hinneigen zueinander die Verwerfungen zwischen den Partnern, einmal die gemeinsame, pure Lust am Theaterspiel.
Angela Reinhardt