Fotos von Ute Fischbach-Kirchgraber
Ballroom

Der TV-erprobte Weltmeister-Trainer Dirk Heidemann über die Zukunft von Ballroom

Auch die Augen tanzen

Dirk Heidemann gilt als Paradiesvogel unter den hochkarätigen Tanztrainern, und das nicht ohne sichtlichen Grund, denn seine Outfits sind ebenso auffallend wie seine Kommentare. „Tanzen ist Kunst und Modenschau und Eurovision Song Contest und Sport“, ist seine Devise. TV-Zuschauer hatten gerade die Ehre, Dirk Heidemann in der neuen Tanzshow „Masters of the Dance“ bei Pro7 als Juror zu bewundern. Da der Sender auch die über 49-Jährigen ansprechen wollte, hat man sich neben HipHop-, Break- und Commercialdancern auch einen Ballroom-Spezialisten auserkoren. Einen Exoten, der so böse sein soll wie Joachim Llambi bei „Let´s Dance“. Und dieses Gesicht ist nun Dirk Heidemann, der übrigens in der österreichischen Version von „Let´s Dance” auch in der Jury sitzt. In dem noch etwas unausgegorenen „Masters of the Dance“-Konzept geht es darum, die sich vorstellenden Tänzer für das eigene Team zu erwärmen, ehe sich die einzelnen Parteien mit kleinen Choreografien battlen und am Ende ein Sieger übrigbleibt.
Dirk Heidemann zum Anfassen bei einer Privatstunde

Das Positive dabei: die einzelnen Kandidaten sind durchaus in der Lage, auch mal auf einem Bein zu stehen, ja sogar auf einer Fußspitze. Viele sind bereits in der Tanzszene unterwegs, haben eine Ballettausbildung, tanzen Turnier oder betreiben Akrobatik. Und fast alle haben ein Tränendrüsen treibendes Programm drauf, wie sie in ihrer Kindheit misshandelt worden sind. Contemporaries verkaufen sich halt gut. Alles unterstützt von mordsmäßigen Computeranimationen und elektronisch mit schweren Beats beschallt. Dass da die Betroffenheit oft größer ist als das tänzerische Können, versteht sich. Wenn Dirk Heidemann bei all den akrobatischen Anläufen eigentlich kein Tanzen mehr erkennen kann, dann gibt ihm der Ballett- und Ballroom-erprobte Zuschauer verdammt Recht. Und ein Turniertänzer-Kandidat, der sich in den Lateinamerikanischen Tänzen versucht, muss sich auch gefallen lassen, dass ihm Dirk Heidemann trotz seiner Zugehörigkeit zu einer Weltmeister-Formation eher das Können eines Hausmeister denn das eines Weltmeisters bescheinigt – Dirk Heidemann muss es wissen, schließlich trainiert er die amtierenden russischen Lateinweltmeister Armen Tsaturyan und Svetlana Gudyno.

Dirk Heidemann überwacht die hohe Kunst der körperlichen Zuwendung

Breakdance ist bei „Masters of the Dance“ besonders angesagt. Dirk Heidemann: „Das sind meist Jugendliche mit Migrationshintergrund, alles Jungs – von Mädels ist da nichts bekannt. Die machen teils krasse Sachen, wie in die Luft springen und auf dem Ellbogen landen – der natürlich immer aufgeschürft ist, Schmerzmittel und Pflaster braucht…” So etwas gehört jedoch nicht unbedingt dazu, wenn Dirk Heidemann sich ständig weiterentwickelt und beobachtet, was es an Veränderungen gibt. „Life is lessons“ ist sein Motto. Zu unterrichten ist seine Leidenschaft.

Wie sieht er die derzeitige Ballroom-Szene? Dirk Heidemann: „Die allerwenigsten gehen heute über alle zehn Tänze. Tanzen wird immer aufwändiger, es gibt immer mehr Camps. Und heute drängen die Chinesen mit einem großen Geldbeutel in die Szene. Kurz: Tanzen wird immer teurer, was nicht zuletzt auch an der kostspieligen Bekleidung liegt. Und dass die jungen Tänzer weniger werden: nach der Schulausbildung wird entweder im Beruf oder im Studium ganzer Einsatz verlangt. Da muss man ständig Examen ablegen, um weiter Unterstützung zu bekommen – so bleibt keine Zeit mehr zum Tanzen.” Dass nach Russland nun China die Tanzszene erobert, ist eine Entwicklung, die Dirk Heidemann durchaus kommen sah. Neben seiner internationalen Trainertätigkeit (viele Ukrainer gehören zu seinen Schülern) betreibt er nicht nur eine erfolgreiche Tanzschule in den USA, sondern arbeitet auch als Professor an einer Sportuniversität in China.

Dass es Breakdance bei der Jugend geschafft hat, ganz und gar olympisch zu werden, und auch während der Olympiade ausgetragen wird und nicht wie Ballroomtanzen in speziellen World Games – Dirk Heidemann kennt den Grund. Ballroomtanzen sieht eben nicht so spektakulär aus. Dirk Heidemann: „Man sieht nicht viel von binnenkörperlichen Bewegungen. Besser geeignet wäre da wohl noch das Formationstanzen, denn da kann man klar Linien erkennen und sehen, ob die gerade sind oder nicht. Das wäre ähnlich wie beim Eiskunstlauf. Da gibt es auch die verschiedenen Dreifach- bis Vierfachsprünge, und man weiß, dass ein Dreifacher dann nicht so gut ist und es Punktabzug geben kann.”

Action Baby: Dirk Heidemann hat die Demo-Dame fest im Griff und fest im Blick.

Womit wir wieder beim Show-Effekt von Tanzen wären. Der ist schon wichtig. So wie Dirk Heidemann durchaus Paradiesvogel-haft unterwegs ist, wenn er ganz „normal“ als Trainer agiert wie soeben beim „Artistic Camp” in München, wo er internationalen Spitzentänzern Unterricht erteilt und Workshops abhält. Eine Krone ziert sein T-Shirt, und der Schriftzug von Dolce & Gabbana ist unübersehbar. Ein Tribut an Dirk Heidemanns Lebensgefühl, denn er konnte sich lange nicht entscheiden, ob er Tänzer werden oder in die Modewelt einsteigen will. Er hat dann beides gemacht: getanzt und gemodelt. Und eines hat das andere beflügelt. Denn als Tänzer Aufmerksamkeit zu erregen gehört absolut dazu. Man muss nicht nur outstanding tanzen, sondern sich auch als outstanding verkaufen – selbst wenn das nicht den Tatsachen entsprechen sollte. Es geht ganz einfach darum, dem Publikum das Gefühl zu vermitteln, dass dem so wäre. Dirk Heidemann führt vor, wie man in jeder Menge sichtbar bleibt und wie man den Zuschauer mit einbezieht. „Ihr müsst auch mit den Augen tanzen“, fordert er. „Wer tanzt, verkauft ein Produkt.”

Allerdings geht es dabei immer noch um Tanzen. Hat Ballrom noch eine Zukunft? Dirk Heidemann: „Was beim einen Tanzweltverband zu viel ist, ist beim anderen zu wenig. Eine Kombination aus Dynamik und Ästhetik mit der verfeinerten Bewegungskultur und dem Willen zur Schönheit, das wäre ein Ziel, aufs innigste zu wünschen. Kunst und Sport vereint.“ Doch die Zeichen dafür stehen eher schlecht. So sieht es für die Zukunft des Tanzens wohl eher erst einmal nach HipHop und Breakdance aus. Kraftvolle Artistik anstelle von Bewegungskultur. Alles eher hop als hip.

Ute Fischbach-Kirchgraber