© Caroline Minjolle, Steps
Kritiken

Cie. La Ronde tanzt Schnitzlers „Reigen“

Die Schweiz ist um eine Tanzcompany reicher. Cathy Marston, ab nächster Saison Ballettdirektorin in Zürich, und Ihsan Rustem feiern mit „8“ Premiere im Theater Winterthur. Acht Tänzer*innen, acht Duos, vier Choreograf*innen, eine Vision und ein abendfüllendes Stück wie aus einem Guss. Sowohl der Name der neu gegründeten Cie. La Ronde als auch das Stück sind inspiriert von Arthur Schnitzlers Skandalstück „Reigen“, dieser Abfolge von sexuellen Begegnungen quer durch die Wiener Gesellschaft um 1900. Auch ein Jahrhundert nach der Uraufführung und vielen Inszenierungen haben diese zehn Dialoge nichts an Aktualität verloren.
Menschen aller Couleur begegnen sich, begehren einander, interagieren und gehen wieder auseinander, weiter, vom einen zum nächsten, bis sich der Kreis wieder schliesst. Die Figuren bei Schnitzler reden vor allem, tauschen Wünsche und Träume aus, im schlechtesten Fall auch die Syphilis oder das Corona-Virus. Den sexuellen Akt gibt Schnitzler mit Gedankenstrichen wieder, bei der Cie. La Ronde wird er vertanzt – so explizit wie nötig und möglich.

© Caroline Minjolle

Den Auftakt machen Annabelle Peintre und Jorge Garcia Pérez, beide tanzten lange am Ballett Basel. Sie in schillerndem Grün, offensiv; er dezent und defensiv im Anzug. Die von Cathy Marston choreografierte Begegnung ist temporeich und leidenschaftlich – in Harmonie mit der eigens komponierten Musik von Nicolas Rabaeus, Spezialist für Filmmusik. Im zweiten Duo, choreografiert von Luca Signoretti, trifft der Lover auf den jungen Tänzer Neil Höhener, eine faszinierende Erscheinung, ein kraft- und schmerzvolles Kräftemessen und Wünsche-Verdrängen. Dafür wird in der dritten, von Ihsan Rustem inszenierten Begegnung umso fröhlicher geflirtet und urbaner getanzt. Und so geht es weiter von Paar zu Paar. Zwischendurch befinden sich alle Tänzer*innen auf der Bühne, manchmal ist jemand allein, vielleicht gerade verlassen worden oder in Covid-bedingter Isolation. Da bekommen dann die Bühnenelemente (Jann Messerli) einiges an Frust und Lust ab wie im Solo von Petr Nedbal, choreografiert von Caroline Finn. Am Schluss fallen sich die letzte Frau und die erste in die Arme. Ihr zärtliches Liebesspiel steigert sich zu einem wilden Kreisen, während sich die Objekte zu einem Kreis schliessen, der sich dem Begehren in alle Richtungen bestimmt wieder öffnen wird.

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Zwar bestimmt die sexuelle Macht die Begegnungen, aber das eigentlich Spannende liegt im Davor und im Danach. Bei Schnitzler sind es diese scheuen Fragen nach Liebe und Glück und wie die Figuren den Antworten ausweichen. Der Cie. La Ronde gelingt es hervorragend, diese melancholischen Zwischentöne, das, was man zwischen den Zeilen mitschwingt, in den Körpern sicht- und hörbar zu machen. Und es gelingt Cathy Marston und Ihsan Rustem auch, sowohl Tänzer*innen mit sehr unterschiedlichem Background, von Ballett bis Urban Dance, als auch vier Choreograf*innen zu einem homogenen Ganzen zu verweben. Ihre Vision, mit in der Schweiz ansässigen Künstler*innen eine Gruppe zu bilden, die auf Kollaboration, gemeinsamen Prozessen und gegenseitigem Lernen beruht, scheint aufzugehen. Das Publikum zeigte sich jedenfalls begeistert. Ob dieser Ansatz auch im Opernhaus Zürich Früchte trägt?

© Caroline Minjolle

„8“ geht im Rahmen des Migros-Kulturprozent Tanzfestival Steps im Mai auf Schweizer Tournee. Leider gibt es keine Aufführungen in Zürich und Basel. Ist die Cie. La Ronde den Spielstätten der Freien Szene zu etabliert, zu tänzerisch, zu gut?

Evelyn Klöti