"Bone Smoke", Ch. Melanie Lane. Tänzer*innen: Inés Belda Nácher, Thamiris Carvalho, Marc Galvez, Adrien Ursulet, Yi-Wei Lo, Lucía Nieto Vera, Jochem Eerdekens © Susanne Reichardt
Kritiken

Bone Smoke

Postapokalyptische Tanzerzählung mit Schwächen

Über Melanie Lanes „Bone Smoke“ für das dancetheatreheidelberg

Von Alexandra Karabelas

Die Story hätte gut sein können, trotz aller aktuell real stattfindenden Katastrophen auf dem Globus: Melanie Lane nahm den 1815 erfolgten Ausbruch des Schichtvulkans Tambora auf der östlich von Java gelegenen Insel Sumbawa in Indonesien und die damals mit ihm verbundenen globalen Klimaveränderungen zum Anlass, eine neue, „postapokalyptische“ Tanzerzählung mit dem Titel „Bone Smoke“ zu kreieren. Das Thema passte gut zum uraufführenden dancetheatreheidelberg, das seit 2018 von Ivan Pérez geleitet wird. Dessen Vorliebe für Mythen, Themen und Geschichten, die die Menschheit im existenziellen Sinne betreffen, ist bekannt. Auch hatte der Abend auf der kleinen Bühne im Zwinger inspirierend begonnen. Man blickte auf ein von Bühnen- und Kostümbildnerin Katharina Andes entworfenes, hohes und in roten Lichttönen ausgeleuchtetes Rechteck, vor dem Nachahmungen schwarzer Steine und Felsen lagen. Das Bild begeisterte als raffiniertes Vexierspiel. Einerseits schien man aus dem Fenster auf loderndes Feuer zu blicken, andererseits in Nahaufnahme das Verglimmen des Vulkans zu erleben. Schließlich traten aus dem Off die neun Tänzerinnen und Tänzer zu dunkel wummernden Klangpassagen, komponiert von Yamila Rios, auf, jene verkörpernd, die die Katastrophe überlebt haben.

Fotos: © Susanne Reichardt

Yi-Wei Lo

Lane ließ sie mit leeren Augen durch eine von Magna, Bränden und Asche zerstörte Landschaft taumeln. Ihre Choreografie ließ die javanisch-australische Künstlerin ganz langsam beginnen, und darin lag ein Zauber. In Zeitlupe bewegte sich jeder für sich und doch alle miteinander. Das Tempo steigernd, fanden sie sich virtuos auf verschiedene Timings gesetzte Gruppen und schließlich ganz zusammen, hoben dabei immer wieder einen hoch nach oben, sich dabei alle an Armen oder Rücken berührend und haltend, als ob sie zusammenhalten wollten nach jenem Ereignis, das ihnen alles genommen haben musste.

Jochem Eerdekens, Adrien Ursulet, Lucía Nieto Vera, Thamiris Carvalho, Marc Galvez
DTH Ensemble

Dann aber passierte nichts mehr. Oder anders gesagt: Das virtuos anzusehende Durchfließen der Formen setzte sich in allen nachfolgenden Szenen fort, von denen wenige wirklich konkret wurden, wie etwa jene mit der Steine tragenden oder unter ihnen begrabenen Frau, die dann aber auch einfach weiterlebte. Viele Möglichkeiten, mit dem einzelnen Körper noch mehr und präziser zu erzählen als Spiegel einer wirklichen Auseinandersetzung mit dem realen Abgrund des Lebens wurden so verschenkt. Der schöne zeitgenössische Tanz hatte sich vom narrativen Kontext seiner selbst geschaffenen Umgebung entfernt zugunsten des Flow. Es fehlte künstlerisch die Irritation, das Abgründige, das wirkliche Überführen des Geschehens in die Tanzbewegung der Einzelnen. Dann, endlich, lagen irgendwann alle dem Gesicht auf dem Boden. In diesem Moment ließ Lane eine Tänzerin mit einem überdimensionalen Reagenzglas, gefüllt mit roter Flüssigkeit auftreten, die sie allen, die völlig willenlos geworden sind, in die Münder träufelte. Das Ergebnis glich einer Wiedergeburt aller als neue Menschen, die nonbinär, ohne jede Geschlechtlichkeit, zunehmend gleich- bzw. fremdgesteuert mit oft offenem Mund und nun eher verdrehten, mal eckigen, mal kantigen, neoklassisch angehauchten Bewegungen agierten. Auch wenn sich hier in den Gruppenszenen erneut der choreografische Zauber der Verbundenheit feststellen ließ, reichte dies nicht aus, die inhaltliche Aussage ernst nehmen zu wollen: dass die Menschheit auf eine roboterhafte und durchmanipulierte kollektive Existenzform zusteuerte, in der nicht ein Funken menschlicher Regung mehr feststellbar sein wird. Hat gerade die Kunst als Aussage über den Menschen nicht mehr zu bieten?